2014, 09:31 Min., Farbe, Ton, Der Beste Weg
Idee und Realisation: Angelika Herta
Kategorien: Film / TV / Video, experimenteller Dokumentarfilm
Produktion : Kunsthochschule für Medien Köln, Angelika Herta
Um acht Uhr morgens geht die Frau einkaufen, einmal pro Woche muss es sein, auch wenn sie es hasst und gleich wird sie vom Fahrrad des Briefträgers umgefahren. Sie ist wütend auf die hilfsbereiten Mitbürger, die ihr danach über die Straße helfen, obwohl sie es gar nicht wollte - jetzt muss sie den Weg zurück suchen. Haben sie ihren Blindenstock und den Blindenhund nicht gesehen? Auch dann, besonders dann nerven sie sie, wenn sie ihr wegen ihrer Behinderung helfen wollen oder Fragen stellen. Am schlimmsten sind die Akademiker. Deutschland versteht es nicht, mit Behinderung umzugehen, weiß sie.
Im Kaufladen hat man wieder die Regale umgeräumt, damit die Leute länger im Laden bleiben, auch das nervt. Für den Einkauf hat die Frau einen Barcode-Scanner, sie ist auf alle Eventualitäten vorbereitet, um ohne Hilfe zurecht zu kommen. Bloß kein Mitleid! Den Hund, behauptet sie, hätte sie sich erst gar nicht zugelegt, auch dafür sind die hilfsbereiten Mitmenschen verantwortlich, wo sie doch eigentlich gar keine Hunde mag. Auch die anderen Blinden im Blindenverein mit ihrer Daueraufregung mag sie nicht, obwohl sie trotzdem hingeht.
Diese Frau, die Hauptfigur des Filmes, hat ihr Leben gut gemeistert: Sie hat eine erwachsene Tochter, die sie streng erzogen hat – die Erziehung des Kindes ist für eine Blinde, vermutlich Alleinerziehende, keine leichte Aufgabe und sie musste sicher gehen, dass sie es gut macht. Sie hat einen Enkelsohn, der sie besuchen kommt und ihren Computer aufräumt. Mit ihrer Sprachassistentin hat sie auch Probleme, aber auf sie – die sie Steffi nennt – ist sie angewiesen, um Beschwerdebriefe zu verfassen. Nach jedem Stadtgang fallen etliche an. Früher hat sie einen Freund gehabt, den Klaus mit der hohen Stimme, dem sie nicht nachtrauert, aber er hatte ein Auto und sie sind gemeinsam in den Urlaub gefahren, in andere Länder. Reisen hat sie gemocht.
Man sieht die Frau vor sich, man hört ihren Stock auf den Asphalt schlagen und hört ihre schnell geschossenen Antworten, wenn ihr jemand in die Quere kommt, was ständig passiert.
Dabei hat der Film keine Bilder. Nur weiße, selten rote Buchstaben auf schwarzem Hintergrund. Manchmal tanzen die Buchstaben, blasen sich auf oder ziehen sich zusammen. Eine Computerstimme liest uns den Text vor. In zehn Minuten die Lebensgeschichte einer Frau. Nach dem Wort „Film“ – „ein Film (?) von Angelika Herta“ – hat die Autorin ein Fragezeichen gesetzt. Bräuchte sie aber nicht, denn ohne Frage ist es ein Film, der vor unserem inneren Auge abläuft, in Gang gesetzt von einer monotonen Computerstimme und reduzierten Buchstaben auf schwarzem Grund.
Text - Prof. Katrin Laur
Angelika Herta wurde in Österreich geboren und machte ihr Abitur in Istanbul. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und arbeitete als Lektorin an der Universität Bukarest, bevor sie ihr Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln absolvierte. Ihr Experimentalfilm „Der beste Weg“ war 2015 für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert und ihr Dokumentarfilm „Life could be so beautiful“ erhielt 2019 am Ji.hlava International Documenatry Film Festival den Preis “Best Central and East European Documentary Student Film”. Herta erhielt 2021 den „SHOOT“ Nachwuchspreis für Künstlerinnen von KHM und IFFF Dortmund+Köln und ein Arbeitsstipendium vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW für ihr Filmprojekt „Wir Tiere“. Zur Zeit entwickelt sie zusammen mit der Filmwerkstatt Münster einen dokumentarischen Kurzfilm mit dem Arbeitstitel „Mammals“. Angelika Herta ist Mitglied des Dokomotive Kollektivs, einer Kölner Plattform für den künstlerischen Dokumentarfilm, und arbeitet als freie Filmemacherin und Dozentin für Dokumentarfilm in Köln.
Auszeichnungen „Der beste Weg“ :
Förderpreis KHM 2014
Nominierung für den Deutschen Kurzfilmpreis 2015
“Lobende Erwähnung” des K3 Filmfestival 2016
2.Preis der Jury des Look&Roll Festivals 2016
Ausstellungen „Der beste Weg“ :
Art Cologne 2015 “What subject can we sensibly discuss?"
Video- und Performance-Festivals “Play – leaving the stage”, 27.11.2015-9.1.2016 zusammen mit der Galerie ampersand in Köln
"A room that...Perfect creatures", Gruppenausstellung, 19.09. –1.10.2016, Spinnerei Leipzig
Marler Medienkunst-Preise 2016, 23.10.2016 - 12.02.2017, Skulpturenmuseum Glaskasten
FAR OFF 2018, Cologne Contemporary Art Fair, 18.-21.04.2018, Ebertplatz Köln
Zudem wird aktuell ihr Kurzfilm am 11. April um 20.00 im Short Monday Programm unter dem Titel „Über Schrift" im Filmhaus Köln gezeigt.
Der virtuelle Ort für künstlerische Arbeiten mit dem bewegten Bild und für experimentelle audiovisuelle Formate der Kunsthochschule für Medien hat einen neuen Namen: MOOZ. Die auch weit über die KHM hinaus bekannte Plattform für Nahblicke auf die künstlerischen Projekte und Produktionen arbeitet nun mit dem Spiegelungsprinzip: MOOZ reflektiert die vielschichtigen Sequenzen und Formate, spiegelt bislang noch nicht Wahrgenommenes oder gerade erst Hergestelltes in die virtuellen Räume zurück. MOOZ vollzieht damit auch einen Perspektivwechsel: Es geht nicht nur um den Blick auf und in die überwiegend kurzen, audiovisuellen Formen und Entdeckungen zum Vlog, Found Footage, Essayfilm, dokumentarische und performative Formate, abstrakte und experimentelle, installative Anordnungen, sondern mit welcher Linse, welchem Fokus, welchem Zoom die Bewegtbildarbeiten zurückblicken auf die ebenso differente und vielstimmige Welt der User*innen.
Das Spiegelungsprinzip von MOOZ ist auch programmatisch zu verstehen: denn jedes Projekt wird von einer anderen Stimme reflektiert, der*die mit den künstlerischen Arbeiten denkt, einen spezifischen Fokus darauf richtet und die Betrachter*innen zu eigenen Projektionen anregt.