2018, 3:47 min, Farbe, Ton, ausIdentities and Recipes
Idee und Realisation: Ji Su Kang-Gatto
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln
Identities an Recipes: How to cook Samgyetang (Chicken Soup)
Rezepte geben uns ein Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit in einer Welt, die oft chaotisch und unsicher erscheint. Kochen ist ein performativer Akt, der eng mit Vorstellungen von Heimat, Nahrung und Gemeinschaft verbunden ist. Es kann eine Verbindung zu Geschichten, Kulturen, Empfindungen, Zutaten und Körpern sein. Durch das Kochen können wir uns mit den Toten verbinden, mit denen, die darauf warten, geboren zu werden, und mit unseren Vorfahr*innen, die ihre Seele in ihre Kochkunst gesteckt haben.
Das Anschauen von Ji Su Kang-Gatto auf meinem Laptop ist eine Form des Genusses und des Vergnügens und ich befinde mich gerade an der Schwelle zu einem „Rabbit Hole“. Ich beschloss, auf YouTube nach dem Titel des Films How to Cook Samgyetang? zu suchen. Neben dem Kurzfilm von Kang-Gatto gibt es auf der Plattform viele weitere Anleitungen für die Zubereitung von Samgyetang oder Hühner-Ginseng-Suppe. Ich lernte etwas über Wasch- und Eintauchtechniken, das Erwärmen des inneren Körpers, die Sommer in Korea, die Wiederherstellung von Energie und Balance und die Bekämpfung von Feuer mit Feuer. Ich habe mich meinen Sinnen hingegeben, habe konsumiert und aufgenommen, ohne den Zeigefinger vom Trackpad zu nehmen.
Einem Rezept zu folgen, wie Kang-Gatto es tut, erfordert die Bereitschaft, im Moment präsent zu sein. Das Originalrezept verschwimmt, während sie es sich ausleiht, aneignet, neu kreiert und das Ergebnis später verspeist. Das Befolgen eines Rezepts zeigt, dass hinter der Arbeit der Hobbyköchin viel mehr steckt als das unterwürfige Ausführen der Anweisungen in einem Akt passiver Folgsamkeit. Es ist möglich, eine Art des Befolgens zu praktizieren, die sich nicht auf den Gehorsam gegenüber Befehlen reduziert und die Autorität sogar kritisch hinterfragt. Stattdessen kann das Folgen initiierend sein.
Ein Rezept zu erstellen oder dessen Umsetzung in Form eines Tutorials zu präsentieren, bedeutet zu führen. Das heißt jedoch nicht, dass Kang-Gattos Vorgaben nicht zu befragen sind. Die Künstlerin vermeidet die Funktion definitiver Autor*innenschaft, indem sie ihre Videos auf YouTube teilt und bietet uns stattdessen eine genuin subjektive Interpretation des jeweils gegebenen Rezepts. Das Teilen mit der Kamera, mit dem Publikum, mit Menschen, die sie kennt und die sie nicht kennt, erscheint nicht als einseitige, autoritäre Geste, ebenso wenig wie das Folgen Ausdruck eines rein reaktiven und demütigen Verhaltens ist.
Letztlich geht es beim performativen Charakter des Kochens um mehr als nur um das Essen—vielmehr geht es um die Verbindungen, die hergestellt werden, und die Geschichten, die dabei erzählt werden. Es geht darum, wie Sprache und Bewegung, sowohl sinnlich als auch technisch, Erfahrungen leiten und beschreiben. Es geht um das Potenzial und die Möglichkeit unsere Identitäten, Gemeinschaften und Geschichten durch das Kochen und den Austausch von Essen miteinander zu gestalten.
Wir betrachten, wir kochen und wir essen. An welchem Punkt übernehmen wir die Rezepte, Stimmen und Anweisungen, um unsere eigenen zu schaffen?
Text - Agustina Andreoletti
Ji Su Kang-Gatto (*1989) schloss 2013 ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschülerin von Lucy McKenzie ab. Ihr Postgraduiertenstudium an der Kunsthochschule für Medien Köln schloss sie im Sommer 2021 mit ihrer Arbeit Vlog 8998 unter der Betreuung von Prof. Matthias Müller, Daniel Burkhardt und Prof. Dr. Lilian Haberer ab.
Ihre Arbeiten wurden auf zahlreichen Ausstellungsorten und Filmfestivals gezeigt. Dazu gehören das Sao Paulo International Short Film Festival und die IMAI Foundation im NRW-Forum Düsseldorf. Kang-Gatto erhielt das Akademiestipendium für Malerei der Kunstakademie Düsseldorf und ein Arbeitsstipendium in Südkorea, gefördert von der Kunststiftung NRW. Darüber hinaus wurde ihrer Arbeit Identities and Recipes die Sektion „Experiment“ des 31. Internationalen Kurzfilmfestivals Sao Paulo gewidmet. Als Regisseurin von Identities and Recipes war sie auch in der Official Selection / Aviff Cannes Art Film Festival 2021 und gewann den 3. Preis.
MOOZ hat bereits eine weitere Episode aus Identities and Recipes gezeigt :How to cook Miyeokguk
Der virtuelle Ort für künstlerische Arbeiten mit dem bewegten Bild und für experimentelle audiovisuelle Formate der Kunsthochschule für Medien hat einen neuen Namen: MOOZ. Die auch weit über die KHM hinaus bekannte Plattform für Nahblicke auf die künstlerischen Projekte und Produktionen arbeitet nun mit dem Spiegelungsprinzip: MOOZ reflektiert die vielschichtigen Sequenzen und Formate, spiegelt bislang noch nicht Wahrgenommenes oder gerade erst Hergestelltes in die virtuellen Räume zurück. MOOZ vollzieht damit auch einen Perspektivwechsel: Es geht nicht nur um den Blick auf und in die überwiegend kurzen, audiovisuellen Formen und Entdeckungen zum Vlog, Found Footage, Essayfilm, dokumentarische und performative Formate, abstrakte und experimentelle, installative Anordnungen, sondern mit welcher Linse, welchem Fokus, welchem Zoom die Bewegtbildarbeiten zurückblicken auf die ebenso differente und vielstimmige Welt der User*innen.
Das Spiegelungsprinzip von MOOZ ist auch programmatisch zu verstehen: denn jedes Projekt wird von einer anderen Stimme reflektiert, der*die mit den künstlerischen Arbeiten denkt, einen spezifischen Fokus darauf richtet und die Betrachter*innen zu eigenen Projektionen anregt.