MOOZ

Logo
Logo Text

MOOZ – on moving images and audiovisual arts 

How to cook Miyeokguk

03:54
How to cook Miyeokguk
Ji Su Kang-Gatto 
2019, 3:54 Min, Farbe, Ton

2019, 3:54 Min, Farbe, Ton, von Identities and Recipes

Idee und Realisation: Ji Su Kang-Gatto 

Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln


Geburtstagssuppe: Emanzipatives Kochen mit Ji Su Kang-Gatto

How to cook Miyeokguk


Der Film How to cook Miyeokguk (Seaweed Soup) von Ji Su Kang-Gatto ist ein Youtube-Cooking-Tutorial. Zumindest auf den ersten Blick. Während der Titel in dieser Hinsicht eindeutig zu sein scheint und eine Anleitung für die Zubereitung einer koreanischen Suppe mit Seetang suggeriert, brechen gleich die ersten zwei Sekunden mit den Erwartungen der Rezipient*innen. Ein schwarzer Ledersessel vor einer weißen Heizung ist zu sehen. Ein Schnitt folgt und nun sitzt eine junge Frau auf dem Sessel. Sie trägt ein rotes Oberteil und einen roten Rock. Beide Kleidungsstücke sind weiß gepunktet. Die Haare der jungen Frau fallen ihr ins Gesicht und verdecken es. Nach einem erneuten Schnitt ist eine Schüssel mit Algen zu sehen, die mit Wasser gefüllt wird. Jetzt wähnt man sich in der Tat als Rezipient*in eines Kochvideos, denn es folgen Nahaufnahmen von unterschiedlichen Zubereitungsschritten: Algen werden geschnitten, Knoblauch wird gepresst, Fleisch wird mariniert. Mit weiteren Zutaten wird alles in einem kleinen Topf zu einer Suppe verarbeitet, die nach dem Köcheln mit einer Kelle in eine Schüssel gefüllt und mit Reis sowie anderen Beilagen auf einem Tisch angerichtet wird. Also doch eine normale Kochanleitung? 


Die ruhig und monoton vorgetragenen Worte, die während der Bildsequenzen auf Koreanisch aus dem Off zu hören sind und die vermutlich von der Protagonistin vorgetragen werden, die zu Beginn des Videos kurz zu sehen war, könnten der Intonation zufolge durchaus Instruktionen zu den Umsetzungen eines Rezeptes vermitteln. Allerdings verraten die englischen Untertitel, dass es in den gehörten Artikulationen mitnichten um die Zubereitung einer Suppe geht. Die Stimme trägt offenbar die Einträge einer Geburtsurkunde vor und nennt: Name, Geburtsdatum, Geschlecht, Datum der Registrierung, die Person, von der die Registrierung veranlasst wurde sowie Ort und Adresse. In dem Moment, in dem vom Eintrag zum Geschlecht die Rede ist, das mit „weiblich“ angegeben wird, kommt es auch auf der visuellen Ebene zu einer inhaltlichen Verschiebung und die Dokumentation der Suppenzubereitung wird von einem kurzen Schnitt auf den Ledersessel vom Anfang unterbrochen: Zu sehen ist nun, wie die Protagonistin am rechten Rand auf der Lehne des Sessels Platz genommen hat, so dass von ihr nur der rote Rock und eine Hand zu sehen sind. 


Anschließend ändert sich das Bild erneut und zeigt in einer dokumentarischen Nahaufnahme einen leeren Topf, in den Öl gegossen wird. Die Zubereitung der Suppe wird fortgesetzt. Nach einiger Zeit – die Suppe ist nun fertig und wird in die Servierschüssel umgefüllt – springt der Blick der Kamera abermals zurück zum Sessel, auf dem die Protagonistin nun der Länge nach auf dem Rücken liegt. Den Kopf hat sie an die linke und die Beine angewinkelt über die rechte Lehne gelegt; die Arme sind verschränkt. Das Gesicht ist nur zur Hälfte zu erkennen und die Augen liegen außerhalb des Bildausschnittes. Es lässt sich beobachten, wie die Protagonistin gleichmäßig atmet, bevor ein weiterer Schnitt folgt. Nun ist zu sehen, wie die Suppe mit den Beilagen auf einer Tischdecke präsentiert wird. Durch eine Reihe von Schnittabfolgen tauchen dort nacheinander neben der Suppenschüssel noch ein Schälchen mit Reis sowie Teller mit Gemüsebeilagen und Holzbesteck auf. Auf einem weiteren Servierteller kommt ein skulpturales Artefakt hinzu: das Modell einer geballten Faust. 


Während der gesamten Sequenz beginnt die Stimme aus dem Off bis 30 zu zählen, wobei sie die Zahlen 1 und 2 auf Koreanisch nennt und dann auf Deutsch fortfährt. Lediglich die Zahlen 16 und 26 nennt sie wieder auf Koreanisch. Ab der Zahl 19 fokussiert die Kamera das Modell der Faust, das sich als eine Art Kerzenständer entpuppt. Eine Aussparung in der Mitte der Faust ermöglicht es der Protagonistin, dort eine Kerze zu befestigen, die nun als ausgestreckter Mittelfinger emporragt. Bei der Zahl 24 wird die Kerze angezündet. Zwischen 28 und 29 kommt es noch einmal zu einem Perspektivwechsel, so dass nicht mehr auf die Innenseite der Faust geblickt, sondern so darauf geschaut wird, dass sich der gestreckte Mittelfinger direkt an die Kamera zu richten scheint. In dem Moment, indem die Zahl 30 erreicht ist, erlischt die Raumbeleuchtung und die brennende Mittelfingerkerze bleibt die einzige Lichtquelle. Die Stimme aus dem Off sagt auf Koreanisch: „Happy Birthday“ und kurz drauf ist in einem Sekundenbruchteil zu sehen, wie die Protagonistin die Kerze auspustet und dadurch einen dunklen, schwarzen Bildausschnitt hinterlässt. Damit endet das Video.            


Bei der Protagonistin von How to cook Miyeokguk handelt es sich um die Filmemacherin Ji Su Kang-Gatto selber. Das geht aus dem entsprechenden Namenseintrag der Geburtsurkunde hervor, die im Video verlesen wird. Das dort vermerkte Geburtsdatum im März 1989 korrespondiert mit dem Veröffentlichungsdatum des Videos auf Youtube, wo es im März 2019, also exakt 30 Jahre später, eingestellt wurde. Die Filmemacherin thematisiert mit ihrem vermeintlichen Cooking-Tutorial folglich die eigene Geburt, was auch durch die spezifische Auseinandersetzung mit der Zubereitung einer Miyeokguk-Suppe nahegelegt wird: Ein kurzer Blick auf Wikipedia verrät, dass diese in Korea nicht nur als empfohlenes Lebensmittel für die Stillzeit gilt, sondern mitunter auch zum Anlass von Geburtstagen serviert und entsprechend als „Geburtstagssuppe“ bezeichnet wird. Durch das geschickte Kontrastieren von visuellen Kochinstruktionen und sprachlich vermittelten Informationen zur eigenen Herkunft hinterfragt Ji Su Kang-Gatto mit How to cook Miyeokguk also die Bedeutung ihres 30. Geburtstages und impliziert damit eine ganze Reihe von kritischen Fragen zur eigenen Identität und den Bedingungen dafür. 


Während das von ihr gewählte Genre des Cooking-Tutorials einen streng regulierten und vorgezeichneten Ablauf mit eindeutiger Zielsetzung – nämlich der korrekten Zubereitung einer traditionellen Suppe – suggeriert, konfrontiert sie uns als  Rezipient*innen unter dem Eindruck der dabei verlesenen Geburtsurkunde unweigerlich mit der Frage, ob es sich mit menschlichen Lebensläufen ähnlich verhalten könnte und inwiefern sich hier Parallelen ergeben: Haben die Einträge auf einer Geburtsurkunde die selben Funktionen wie die Listung unterschiedlicher Zutaten für ein Kochrezept? Zeichnen sie unseren Lebensweg und unser Lebensziel genau so vor, wie eine Kochanleitung die Zubereitung eines Gerichts festschreibt? Wie wirkt sich zum Beispiel der Geburtsort auf den Verlauf eines Lebens aus? Was folgt aus der Zuschreibung eines Geschlechts? Wie verändern sich die damit zugrunde gelegten Ausgangsparameter im Laufe der Zeit und wieviel Einfluss haben wir auf das, was sich aus der Kombination verschiedener Festschreibungen oder vielmehr verschiedener „Zutaten“ ergibt? Müssen wir uns an Rezeptvorgaben halten? Wie stehen wir zu Traditionen und was für Alternativen existieren zu vorgezeichneten Zeitabläufen?


Durch das Zählen von 1 bis 30 integriert Ji Su Kang-Gatto auf der Soundebene die eigene Lebenschronologie in den Videoablauf und evoziert damit die (Selbst-)Reflektion über ihren Werdegang von der Geburt im Jahre 1989 bis zum 30. Geburtstag. Dabei folgen wir ihr durch jedes einzelne Lebensjahr und fragen uns insgeheim, inwiefern die gleichzeitig zu sehenden Bilder Hinweise zu bestimmten Ereignissen liefern könnten: Bei der Zahl 1 wird der Suppentopf geöffnet, so dass eine fast zu naheliegende bildliche Entsprechung zur Geburt und dem beginnenden ersten Lebensjahr entsteht, die in ihrer metaphorischen Offensichtlichkeit dazu einlädt, auch bei den folgenden Zahlen nach visuell vermittelten Bedeutungen zu suchen. So fragen wir uns beispielsweise, warum ab der Zahl 3 auf Deutsch gezählt wird. Kam die Filmemacherin eventuell in diesem Jahr in die Bundesrepublik und hatte erste Kontakte mit der deutschen Sprache? Warum sehen wir sie von 9 bis 12 auf dem Sessel liegend? Verbindet sie mit dieser Zeit besondere Erinnerungen? Warum wird die 16 auf Koreanisch genannt und hat es eine Bedeutung, dass ausgerechnet bei 18 die Kamera auf die Faustskulptur schwenkt? Warum wird bei 24 die Kerze entzündet? Warum wird die 26 wieder in koreanischer Sprache vorgetragen? Und an wen richtet sich eigentlich der ausgestreckte Mittelfinger, der sich zwischen 28 und 29 in Richtung der Kamera dreht? Welche Geschehnisse, was für biographische Entwicklungen und welche prägenden Ereignisse verbergen sich hinter all den Zahlen und Bildern? 


Konkrete Antworten auf diese Fragen liefert die Filmemacherin nicht. Allerdings gelingt es ihr mit ihrem Video auf konzeptuell höchst reduzierte Art und Weise, dem eher dokumentarischen Genre des Cooking-Tutorials Nuancen einer Coming-of-Age Erzählung hinzuzufügen, die ihren Höhepunkt in einer gleichsam rebellischen Geste am Ende des Videos findet. How to cook Miyeokguk kulminiert in einer Pointe, die besonders aufgrund ihrer minimalistischen Inszenierung vom Duktus des Humoresken geprägt ist und klar mit der Erwartungshaltung der Rezipient*innen bricht: das Letzte womit diese am Ende eines Kochvideos rechnen würden, ist die pejorativ konnotierte Geste des ausgestreckten Mittelfingers. Während das Zählen von 1 bis 30 noch einen kohärenten und vorhersehbaren Ablauf beziehungsweise Lebenslauf vermittelt, erscheint der ausgestreckte Mittelfinger am Ende als unvermittelte Intervention, durch die sich die Protagonistin sowohl von den bürokratisch vorbestimmten Einträgen der Geburtsurkunde als auch den tradierten Arbeitsschritten der Suppenzubereitung abgrenzt. Aus der Retrospektive, also vom Zeitpunkt des 30. Geburtstages zurückblickend, stellt sie beide Entwicklungsstränge – den des eigenen Lebens und den der „Geburtstagsuppe“ – in Frage und wendet sich von ihnen ab. Dadurch generiert das Video einen emanzipativen Moment, der weder amtliche Registrierung noch kulinarische Tradition als festgeschriebene Tatsachen gelten lässt und ihnen vielmehr die eigene Handlungsmacht in Form widerständiger Symbolik entgegenhält. 


Im wahren Sinne des Wortes entzündet sich hier am ausgestreckten Mittelfinger eine Diskussion um Bedeutungszuschreibungen, die unser Leben von Geburt an prägen. Sei es in Bezug auf Kategorien wie unsere Herkunft, unser Geschlecht oder unser Alter: Was daraus abgeleitet wird, sind Identitätsattribute, die massiven Einfluss auf unseren Lebenslauf haben, obwohl sie sich meist auf rein willkürlich, zumindest aber auf lediglich kontingent gesetzte Merkmale stützen. How to cook Miyeokguk begehrt subtil gegen solche Zuschreibungen auf und ermuntert dazu, ihnen mit den eigenen, selbstbestimmten Vorstellungen und persönlichen Wünschen entgegenzutreten. Wie genau die daraus resultierenden Lebensentwürfe aussehen können, bleibt entsprechend vollkommen individuell und ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Insofern ist es nur konsequent, dass das Video am Ende keine eindeutigen Handlungsanweisungen liefert, wie wir das von einer konventionellen Kochanleitung vielleicht erwartet hätten. Aber es gibt eben kein Patentrezept für ein (beziehungsweise das) Leben und so sehen wir uns logischerweise mit mehr Fragen als Antworten konfrontiert, bevor am Ende dieses vielschichtigen Films das Licht ausgeht. Eine dieser Fragen könnte noch einmal die Filmemacherin selber betreffen: Was Ji Su Kang-Gatto sich wohl für ihr Leben wünscht, während sie die symbolisch so aussagekräftige Kerze auspustet und uns in der Dunkelheit des Raumes zurücklässt ? 


Text - Konstantin Butz



Ji Su Kang-Gatto (*1989) absolvierte 2013 als Meisterschülerin von Lucy McKenzie ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Ihr postgraduales Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln hat sie im Sommer 2021 mit ihrer Arbeit “Vlog 8998” unter der Betreuung von Prof. Matthias Müller, Daniel Burkhardt und Prof. Dr. Lilian Haberer beendet.


Ihre Arbeiten werden in zahlreichen Ausstellungshäusern und Filmfestivals gezeigt. Unter anderem das Sao Paulo International Short Film Festival und die Stiftung IMAI im NRW-Forum Düsseldorf. Kang-Gatto erhielt das Akademie-Stipendium für Malerei der Kunstakademie Düsseldorf und ein Arbeitsstipendium in Südkorea gefördert durch die Kunststiftung NRW. Des Weiteren wurde die Rubrik “Experiment” beim 31. Sao Paulo International Short Film Festival ihrer Arbeit “Identities and Recipes” gewidmet.


Sie als Regisseurin von “Identities and Recipes” war auch beim Official Selection / Aviff Cannes Art Film Festival 2021 und hat den 3rd Prize gewonnen.


Aktuell wird in NRW-Forum Düsseldorf Episode 4 - selected by Ji Su Kang-Gatto im rahmen der Stiftung IMAI bis 27.10.21 ausgestellt.



← Alle Filme sehen

©Ji Su Kang-Gatto

ÜBER MOOZ

Der virtuelle Ort für künstlerische Arbeiten mit dem bewegten Bild und für experimentelle audiovisuelle Formate der Kunsthochschule für Medien hat einen neuen Namen: MOOZ. Die  auch weit über die KHM hinaus bekannte Plattform für Nahblicke auf die künstlerischen Projekte und Produktionen arbeitet nun mit dem Spiegelungsprinzip: MOOZ reflektiert die vielschichtigen Sequenzen und Formate, spiegelt bislang noch nicht Wahrgenommenes oder gerade erst Hergestelltes in die virtuellen Räume zurück. MOOZ vollzieht damit auch einen Perspektivwechsel: Es geht nicht nur um den Blick auf und in die überwiegend kurzen, audiovisuellen Formen und Entdeckungen zum Vlog, Found Footage, Essayfilm, dokumentarische und performative Formate, abstrakte und experimentelle, installative Anordnungen, sondern mit welcher Linse, welchem Fokus, welchem Zoom die Bewegtbildarbeiten zurückblicken auf die ebenso differente und vielstimmige Welt der User*innen.


Das Spiegelungsprinzip von MOOZ ist auch programmatisch zu verstehen: denn jedes Projekt wird von einer anderen Stimme reflektiert, der*die mit den künstlerischen Arbeiten denkt, einen spezifischen Fokus darauf richtet und die Betrachter*innen zu eigenen Projektionen anregt.


MOOZ@KHM.DE

Bitte warten