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Black Hole

Black Hole
Johanna Reich
2009, 1:50 Min., 4:3, Farbe, Ton

2009, 1:50 Min., 4:3, Farbe, Ton

Idee und Realisation: Johanna Reich

Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln


Eine Person tritt in einen verschneiten Garten und beginnt, einen kleinen Teil des Erdbodens um sich herum mit den Händen vom Schnee zu befreien. Immer größer wird der schwarz erscheinende Rasenbereich im Weiß der Schneefläche und immer schwieriger wird es, die gänzlich schwarz gekleidete Figur vor dem dunklen Grund auszumachen. Am Ende verschmilzt die Figur vollständig mit den Hintergrund und und entschwindet damit unserem und dem überwachenden Blick der Kamera, ohne das Bild tatsächlich verlassen zu haben.




1951 radiert Robert Rauschenberg eine Zeichnung Willem de Koonings aus. 1970 inszeniert John Baldessari mit seinem „Cremation Project“ die öffentliche Verbrennung seiner bisherigen Bilder. 1975 riskiert Bas Jan Ader mit „In Search of the Miraculous“ sein eigenes, finales Verschwinden. – Die Kunst kennt viele Momente rigoroser Auslöschung, auch große, oft männlich-heroische Gesten des Verschwindens.


In den Videos ihrer Werkgruppe „The Presence of Absence“ spielt Johanna Reich bildnerisch-performative Möglichkeiten ihres eigenen, stillen Verschwindens durch. Den Gestus Pinsel-schwingender, selbstherrlicher Malerfürsten zu einem profanen Anstreichen degradierend, passt sie Innen- und Außenwände den Farben ihrer Kleidung an, löscht sich dabei zunehmend als Bildgegenstand wie als handlungsbestimmendes Subjekt aus ihren Kompositionen.


„Black Hole“ (2009) variiert dieses Prinzip, ist aber auch als ironischer Kommentar zu bestimmten Praxen männlicher Künstlerkollegen zu lesen: den raumgreifenden, schon mal Berge versetzenden Interventionen der Land Art nämlich. Johanna Reichs Aktionsradius in dieser weniger als zweiminütigen Videoarbeit dagegen bleibt so eng wie ihre Arme reichen. Wir sehen die Künstlerin schwarz gekleidet eine weiße Schneefläche betreten, in die sich bislang nur Fußspuren eingeschrieben haben, und den Schnee so weit mit ihren Händen abräumen, bis sie sich auf dem freigelegten dunklen Grund unserem Blick entzieht. Boden und Figur scheinen eins zu werden, die Fläche zum Loch, in dem die Performerin versinkt. Das Terrain, auf dem Johanna Reich sich hier bewegt, ist – im Wortsinn – doppelbödig.


Jeder magische Trick bedarf spezifischer Requisiten und Bedingungen, um zu gelingen: Hier sind es die weiße Schneefläche, der tiefschwarze Boden und die entsprechende Kleidung der Künstlerin, sowie die besondere Position der Kamera.

Wir beobachten den Vorgang nämlich in der direkten Aufsicht; aus keiner anderen Perspektive würde der Illusionstrick funktionieren.


Ihren Blick von oben herab teilt Johanna Reichs Kamera mit dem von Drohnen und Überwachungskameras; Aufsichten hochauflösender, panoptischer Satellitenkameras bestimmen unser Bild von der Erdoberfläche, haben sie uns visuell erschlossen, sie kartografiert. Wir unterstellen den ebenso präzisen wie ihrem Gegenstand gegenüber gleichgültigen Darstellungen aus dieser Perspektive Objektivität, Evidenz, unbedingte Glaubwürdigkeit.


Darf man das augenscheinliche Verschwinden der Künstlerin dann überhaupt als Trick bezeichnen? Als eine optische Täuschung? Überrascht uns Johanna Reich doch nicht mit einem die Sinne überfordernden, plötzlich auftretenden verwirrenden Effekt, sondern lässt uns den vollständigen, dabei durchaus vorhersehbaren Vorgang durch das Auge einer unbestechlichen Kamera beobachten. Kein Stopp-Trick, keine digitale Postproduktion unterlaufen die nüchterne Faktizität ihrer Aufzeichnung.


Am Ende sehen wir, dass wir nichts sehen, erleben ihr Verschwinden, während wir uns gleichzeitig der fortwährenden Präsenz der Künstlerin bewusst bleiben. Ein Riss tut sich auf zwischen Wahrnehmung und Wissen. Wenn das Schwarz der Kleidung der Künstlerin und das um sie herum wachsende Schwarz des Bodens, auf dem sie sich bewegt, eins werden, überschreiten wir in ihm die Grenze zwischen Realität und ihrem defizitären Abbild, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, dem Materiellen zum Imaginären.


Die Biologie verwendet den Begrif der „Schutzmimikry“ für eine gezielte Täuschung des Signalempfängers durch die camouflierende Anpassung von Tieren an deren Umgebung, um übersehen und nicht zur Beute zu werden: eine Technik, sich im optischen Verschwinden zu retten.


Während unsere Bildmedien in nie gekanntem Maß die Erweiterung unseres Blickfeldes, die extensive Durchleuchtung und Sichtbarmachung der Welt betreiben, buhlen soziale Medien um die vorbehaltlose Preisgabe unseres Selbst. Wie nicht zur Beute werden? Die subtile Medienkritik, die Johanna Reich mit „Black Hole“ formuliert, ist verbunden mit dem Vorschlag, das Dunkel zu suchen, mehr Opazität zu wagen. „Die Zusammensetzung Dunkler Materie gilt bislang als unbekannt“, schreibt die Künstlerin zu ihrer Arbeit. „Diese Form von Materie sendet zu wenig sichtbares Licht oder andere elektromagnetische Strahlung aus, um direkt beobachtbar zu sein.“


Den umgekehrten Weg – vom Dunkel ins Licht, der Unsichtbar- in die Sichtbarkeit – verfolgt die Künstlerin in ihrem jüngeren Projekt „Resurface“ (2014 – 2019), in dem sie fotografische Porträts von der Kunstgeschichtsschreibung marginalisierter Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts wieder aufleben lässt. Sechzig dieser Porträts reproduziert Johanna Reich als Polaroid-Fotos, dokumentiert den Prozess der Bildwerdung auf Video und birgt so behutsam Gesichter aus dem „Black Hole“ der Vergessenheit.


Text – Matthias Müller



Johanna Reich (geb. 1977) studierte Freie Kunst an der Kunstakademie Münster, an der HfBK Hamburg und absolvierte einen Postgraduierten-Studiengang Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien, Köln (2007-2009) sowie Austausch und Artist-in-Residence Programme in den USA, Israel, Spanien, Luxemburg und Rumänien. 

Johanna Reich wurde u.a. mit dem japanischen Excellence Prize for Media Arts, dem Förderpreis des Landes NRW für Medienkunst, dem Konrad von Soest Preis und dem Nam June Paik Award Förderpreis ausgezeichnet. Ihre Arbeiten thematisieren die fortschreitende Digitalisierung und zunehmende mediale Vereinnahmung unseres Alltags und untersuchen deren Einfluss auf unser Denken, unser Rollenverständnis und unsere Wahrnehmung. 

Ihre Arbeiten sind in zahlreichen Ausstellungen und Sammlungen vertreten, u.a. in der Sammlung Goetz München, im Tokyo Metropolitan Museum of Photography und der Jerry Speyer Collection New York.




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© Johanna Reich

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Der virtuelle Ort für künstlerische Arbeiten mit dem bewegten Bild und für experimentelle audiovisuelle Formate der Kunsthochschule für Medien hat einen neuen Namen: MOOZ. Die  auch weit über die KHM hinaus bekannte Plattform für Nahblicke auf die künstlerischen Projekte und Produktionen arbeitet nun mit dem Spiegelungsprinzip: MOOZ reflektiert die vielschichtigen Sequenzen und Formate, spiegelt bislang noch nicht Wahrgenommenes oder gerade erst Hergestelltes in die virtuellen Räume zurück. MOOZ vollzieht damit auch einen Perspektivwechsel: Es geht nicht nur um den Blick auf und in die überwiegend kurzen, audiovisuellen Formen und Entdeckungen zum Vlog, Found Footage, Essayfilm, dokumentarische und performative Formate, abstrakte und experimentelle, installative Anordnungen, sondern mit welcher Linse, welchem Fokus, welchem Zoom die Bewegtbildarbeiten zurückblicken auf die ebenso differente und vielstimmige Welt der User*innen.


Das Spiegelungsprinzip von MOOZ ist auch programmatisch zu verstehen: denn jedes Projekt wird von einer anderen Stimme reflektiert, der*die mit den künstlerischen Arbeiten denkt, einen spezifischen Fokus darauf richtet und die Betrachter*innen zu eigenen Projektionen anregt.


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