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MOOZ – on moving images and audiovisual arts 

shadow on railing

SHADOW ON RAILING (full length)
Jeayoung Koh 
2018, 5:36 Min., 16:9, s/w

2018, 5:36 Min., 16:9, s/w

Idee und Realisation: Jeayoung Koh

Sound: Leon Maximilian Brückner

Betreuung: Prof. Matthias Müller, Daniel Burkhardt

Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln

Kategorien: Film / TV / Video, Videokunst, Videoarbeit, Experimentalfilm, Experimentalfilm




Flackerndes Laternenlicht auf dem tristen Geländer einer unwirtlichen Brücke im nächtlichen Nirgendwo - das Video "shadow on railing" beginnt mit einem Motiv, das abseits am Straßenrand liegt und dazu prädestiniert ist, übersehen zu werden.


Es ist ein wiederkehrendes Stilmittel von Jeayoung Kohs Videos, mit Motiven zu arbeiten, die so unspektakulär und alltäglich sind, dass sie sich kaum zur filmischen Repräsentation eignen.


In "Landschaft vor dem Zugfenster" (2016) und "Nachtbus im Regen" (2017) sind es Aufnahmen die Koh durch die Fensterscheiben von öffentlichen Verkehrsmitteln gefilmt hat und die er in aufwendigen digitalen Nachbearbeitungen vielfach schichtet und verdichtet, so dass sie einen hypnotischen Sog entfalten, der die Betrachter aus der Alltagswelt heraus in eine kaum mehr figurative, tranceartige Gegenwelt führt. 


Im Gegensatz zu den vorherigen Arbeiten wurde die dem aktuellen Werk zugrunde liegende Aufnahme von einer unbewegten Kamera aufgezeichnet. Auf einem Stativ ruhend fokussiert sie ein Brückengeländer, über das Schweinwerfer von vorbeifahrenden Autos gleiten. Die bewegten Lichtkegel werfen Schatten von Objekten und Menschen auf die Struktur des Geländers, während die Körper selbst außerhalb der Kadrierung im Unsichtbaren bleiben. 


Da es selbst nur aus singulären Stäben besteht, ist das Geländer nicht geschlossen und erlaubt somit eine Durchsicht. In der Dunkelheit dahinter deutet sich eine Landschaft an, die aber bis auf vereinzelte Lichtpunkte im Ungefähren bleibt. Die Stäbe des Geländers werden hier zur porösen Leinwand, auf der sich das Licht- und Schattenspiel abbildet.


Schon nach wenigen Sekunden verengt sich das visuell eh schon reduzierte Bild. Zwei schwarze Masken werden von den Bildrändern her eingeblendet und kaschen die Bereiche oberhalb und unterhalb des Geländers ab. Da es sich perspektivisch nach hinten verjüngt, nimmt es in der Maskierung selbst die Form eines Lichtkegels an.


Während die Spots der Autoscheinwerfer über die Stäbe der Brückenbegrenzung gleiten, setzt ein Schwenk nach links ein und wir sehen die Struktur verdoppelt und an ihrem linken Rand vertikal gespiegelt. Der Eindruck eines sich in der Ferne verengenden Tunnels entsteht. Auf den imaginären Wänden des neu geschaffenen Raumes zeichnen sich nun zum ersten Mal die Umrisse von menschlichen Körpern ab. Und auch die auf dem Stativ stehende Kamera wird zum Schattenbild und fliegt vorbei. 


Der Blick weitet sich erneut und die vertikale Spiegelung des Motivs wird wiederholt. Wie ein Gedanke, den man immer wieder dreht und wendet und sich derart sukzessive ein gedankliches Feld erschließt, klappt das Bild weiter aus, wird auch nach oben und unten verlängert, bis wir schließlich eine ornamentale Struktur erkennen, in der das figurative Ausgangsmoment zwar noch vorhanden, aber nur mehr zu erahnen ist. Im Kontext seiner Vervielfältigungen hat das Ausgangsmotiv einen vollkommen neuen Wahrnehmungseindruck hervorgebracht. 


Gleichzeitig reflektiert das Video im Rahmen dieses Strukturaufbaus unsere basalen kognitiven Prozesse, da, wie es der  Maler und Schriftsteller Henri Michaux formulierte, das Bewusstsein selbst eine Collage ist. In seinen streng kontrolliert durchgeführten Experimenten mit der bewusstseinserweiternden Droge Meskalin versuchte er, unseren mentalen Strukturen auf den Grund zu kommen und entdeckte dabei, dass sich hinter jeder Struktur weitere verbergen und dass selbst das scheinbar kleinste gedankliche Element teilbar ist und erneut einen ganzen Kosmos enthält. Das zentrale Motiv seiner Zeichnungen ist dabei der Riss, der die unterschiedlich ineinander geschachtelten Oberflächen miteinander verbindet.


In Jeayoung Kohs Arbeit hingegen, ist es die zeitliche Diskontinuität, die die erst homogen ablaufende ornamentale Struktur wieder aufbricht und in ihr kleine divergente Zellen sichtbar werden lässt, in denen sich Licht und Schatten in alternierenden Rhythmen gegeneinander verschieben. Aus der vorher homogen pulsierenden Fläche treten autarke Bildeinheiten hervor und verleihen der Gesamtstruktur eine Tiefe, die dazu einlädt, gedanklich in sie hinein zu zoomen.


Das einzelne Bild ist eingebettet in ein größeres, potenziell unendliches Gewebe von Bildern und Bezügen, in eine sowohl räumliche, zeitliche als auch inhaltliche Dimension. Bei Michaux ist es ein Gefühl der Unendlichkeit und dadurch auch des Bodenlosen, das dadurch entsteht, dass sich jede Wahrnehmung weiter aufspalten, präzisieren und in Einzelteile zerlegen lässt. Folgt man diesem Gedanken, ist es unmöglich, jemals bei einer verlässlichen, unteilbaren, endgültigen Einheit anzukommen. Wie bei der Ausgangsaufnahme von Koh, in der wir nur die Schattenbilder von Objekten auf einer durchlässigen Fläche wahrnehmen, liegt jede Wahrnehmung in einem Zwischenbereich, hängt in der Schwebe und ist nur in ihrem jeweiligen Kontext zu verorten.


Gegen Ende der Arbeit klappt Koh den vorher ausgebreiteten Kosmos wie eine faltbare Landkarte wieder zusammen. Wir kehren von weit her zurück zum prosaischen Ausgangsmoment und sehen nun auch zum ersten Mal einen menschlichen Körper: Ein Jogger durchquert das Bildfeld und ruft uns in Erinnerung, dass das Leben im Diesseits weiterläuft.


Text — Daniel Burkhardt



shadow on railing feierte seine Premiere 2018 beim Kurzfilmfestival Köln und wird bei den 65. Kurzfilmtagen Oberhausen im Rahmen des NRW-Wettbewerbs präsentiert.


Jeayoung Koh wurde 1986 in Masan, Südkorea geboren. Von 2005 bis 2012 studierte er Malerei an der Kangnam Universität ebenfalls in Südkorea. Im Jahr 2014 begann er an der Burg Giebichenstein der Kunsthochschule Halle sein zweites Studium im Fachbereich Zeitbasierte Künste und schloss 2016 ein postgraduales Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln an, wo er sich mit seinen Arbeiten an der Schnittstelle zwischen dokumentarischer Realität und filmischer Fiktion bewegt.




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© Jeayoung Koh

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Der virtuelle Ort für künstlerische Arbeiten mit dem bewegten Bild und für experimentelle audiovisuelle Formate der Kunsthochschule für Medien hat einen neuen Namen: MOOZ. Die  auch weit über die KHM hinaus bekannte Plattform für Nahblicke auf die künstlerischen Projekte und Produktionen arbeitet nun mit dem Spiegelungsprinzip: MOOZ reflektiert die vielschichtigen Sequenzen und Formate, spiegelt bislang noch nicht Wahrgenommenes oder gerade erst Hergestelltes in die virtuellen Räume zurück. MOOZ vollzieht damit auch einen Perspektivwechsel: Es geht nicht nur um den Blick auf und in die überwiegend kurzen, audiovisuellen Formen und Entdeckungen zum Vlog, Found Footage, Essayfilm, dokumentarische und performative Formate, abstrakte und experimentelle, installative Anordnungen, sondern mit welcher Linse, welchem Fokus, welchem Zoom die Bewegtbildarbeiten zurückblicken auf die ebenso differente und vielstimmige Welt der User*innen.


Das Spiegelungsprinzip von MOOZ ist auch programmatisch zu verstehen: denn jedes Projekt wird von einer anderen Stimme reflektiert, der*die mit den künstlerischen Arbeiten denkt, einen spezifischen Fokus darauf richtet und die Betrachter*innen zu eigenen Projektionen anregt.


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