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Ankerstr. 62

12:19
Ankerstr.62
Matthias Stoll
2008, 8:10 Min., Farbe

2008, 8:10 Min., Farbe
Regie, Buch, Kamera und Schnitt: Matthias Stoll
Kameraassistenz: Elias Stabentheiner, Nina Poppe
Ton: Arne Münch
Aufnahmeleitung: Daniela Roos
Betreuung: Prof. Werner Dütsch, Prof. Dietrich Leder
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln




Dieses kleine Häuschen mit Garten ist ein Resultat lebenslangen Arbeitens. Eben noch bewohnt, verliert jeder Gegenstand darin mit dem plötzlichen Tod des Eigentümers seine Bedeutung. Innerhalb eines einzigen Tages werden sämtliche Spuren des einsamen, zu Ende gehenden Lebens durch Profi-Entrümpeler ausgelöscht.



Interview mit Matthias Stoll


Der Kurzfilm Ankerst. 62 ist Deine erste Arbeit an der KHM gewesen. Im Dokumentarischen Seminar habt Ihr damals die Aufgabe bekommen, einen Vorgang zu dokumentieren. Wie bist Du bei dem Projekt vorgegangen? Wieviel Zeit hattest Du, um den Film zu machen?
Mein Ursprungsidee war es, die Reinigung einer Gefängniszelle zu dokumentieren, ohne genau zu wissen, was mich daran interessiert. Da es für mich als junger Student sehr schwer war, eine Drehgenehmigung für ein Gefängnis zu erhalten. Nach mehreren gescheiterten Versuchen musste ich umdenken. Ich habe überlegen müssen, was der Kern meiner Idee war, und habe dabei herausgefunden, dass es mir um die Spuren menschlichen Lebens ging. Als ich mir im Klaren darüber war, war es sehr einfach für mich ein aussagekräftiges Konzept zu schreiben. Dann habe ich nach professionellen Firmen für Entrümpelungen gesucht und war bereits mit meiner ersten Anfrage erfolgreich.

Was ist im Rückblick für Dich bei dem Projekt als Erfahrung für das Filmemachen besonders wichtig gewesen?
Dass eine „Idee“ nicht als etwas Festes existiert, sondern immer einen Prozess darstellt, In deren Verlauf sie sich ändern kann und soll. Der Film war eine wichtige Orientierung für mich als Filmemacher. Ich habe festgestellt, dass mich die menschlichen Mikrokosmen interessieren, dass ich niemals politische Filme machen werde oder versuchen werde, globale Zusammenhänge zu veranschaulichen.

Wie hat sich Dein Blick auf den Vorgang im Film durch den Prozess des Filmens an sich verändert? Dient Film als Material einem Prozess oder bildet es Dinge und Handlungen ab, die bereits geklärt sind?
Ehrlich gesagt, hatte ich nach positiven Aspekten in der Arbeit des Entrümpelns gesucht, zum Beispiel einen besonderen persönlichen Gegenstand, der aufbewahrt wird und immer noch wertvoll erscheint, obwohl oder weil sein Besitzer verstorben ist; ich hatte einen eher warmherzigen Film im Sinn. Mich hat die Lieblosigkeit des Prozesses schockiert, und ich habe sie im Film hervorgehoben, indem ich dafür maßgebliche Bilder verwendet habe. Dinge, die bereits geklärt sind, gibt es nicht. Denn an einem anderen Tag hätte alles ganz anders verlaufen können. Jedoch hat der Film durch diesen Tag und diese Realität zu seiner Form gefunden, durch einen Prozess, der von der Realität beeinflusst wurde.

Du bist nicht nur Regisseur und Autor bei Deinen Filmen, sondern machst auch die Kamera. Ist hier der unmittelbare Blick durch die Kamera für Dich entscheidend? Oder warum arbeitest Du auf diese Weise? Wirst Du dabei bleiben?
Die Arbeit mit der Kamera ist sehr wichtig, und man muss das richtige Feingefühl zu haben. Ich bin nicht zufrieden mit der Kameraarbeit bei diesem Film, jedoch habe ich in der Auseinandersetzung damit sehr viel wichtiges gelernt. Ich denke als junger Filmemacher sollte man immer selbst die Kamera in die Hand nehmen. Wenn man später mit anderen Leuten zusammenarbeitet, spricht man schon eine gemeinsame Sprache. Das Resultat wird noch besser, wenn mehrere Leute ihre Ideen und Talente beisteuern.

In Ankerst. 62 wird die Wohnung einer verstorbenen Person mit sämtlichem Inventar von Profi-Entrümplern entsorgt, die Spuren eines Lebens an einem Tag ausgelöscht. In Deinem Diplomfilm Sterben nicht vorgesehen erzählst Du von Deinem Vater, seinem Leben, der Zeit mit ihm und was davon zurückbleibt, nachdem er gestorben ist. Ist die Auseinandersetzung mit den Themen Zeit, Identität und Erinnerung für Dich ein wichtiger Ausgangspunkt für Deine Filme?
In einem Wort: Ja. Mich interessiert das Individuum, mich interessiert das Menschsein. Zeit, Identität und Erinnerung sind wichtige Bestandteile davon.

Mit welchen Themen beschäftigst Du Dich zur Zeit?
Ich bereite einen langen Dokumentarfilm vor, in dem seine gealterten Protagonisten - alles Männer - auf ihr Leben zurückblicken. Sie werden zu Autoren ihre eigenen Vergangenheit, sie sollen sich kreativ mit ihr beschäftigen und Kurzgeschichten ausarbeiten. Diese Kurzgeschichten werde ich filmisch nacherzählen und ineinander verweben. Natürlich grenzt das Thema deutlich an meine bisherige Arbeit an.

Deine Filme sind stark durch die Montage geprägt und durch das Arbeiten mit heterogenem Material. Du machst keinen klassischen Dokumentarfilm. Tendierst Du stärker zur essayistischen Methode?
Ich habe mich von puristischen Auffassungen im Dokumentarfilm befreit. Zwar hege ich große Bewunderung für Direct-Cinema-Autoren, tendiere aber in meiner eigenen Auffassung dazu, dass alle Mittel eingesetzt werden können - vorausgesetzt das Gefühl dahinter stimmt. Aber hier muss man auch von Film zu Film neu entscheiden, man kann nicht ein und dasselbe Schema auf alles anwenden. Als junger Filmemacher ist es schwer Essayfilme zu machen, denn für verschiedene Aussagen ist man einfach noch nicht glaubwürdig genug. Einer wie Herzog kann so viel manipulieren und behaupten wie er will, denn man kennt und respektiert den Reichtum seiner Erfahrungen. Wenn ein junger Filmemacher das macht, dann wird das peinlich. Insofern kann ich meine Stimme nur einsetzen, wenn ich von mir selbst und meinen eigenen Erfahrungen erzähle. Ich bleibe bei der essayistischen Methode, aber nicht mit meiner eigenen Stimme.

Wie gehst Du als Filmemacher mit einer Welt im digitalen Wandel und zugleich stark formatierten Medien um?
Jemand der Formate bedienen kann, hat schon immer größere Chancen gehabt, dass seine Filme produziert und gesehen werden. Das wird auch in Zukunft so bleiben, aber zum Glück ist es nicht so wichtig. Wichtig ist meiner Meinung nach eher, dass Filmemacher sich weiterentwickeln - das ist die einzige Chance, die es zu ergreifen gilt. Wenn einem dabei nicht die Puste ausgeht, kommen die Zuschauer von ganz allein.

Welche Formen der Präsenz oder Bildsprache könnten sich für Dich auch im Umgang mit netzspezifischen oder mobilen Plattformen entwickeln? Ist das für Dich überhaupt interessant?
Leider sind die Internetzuschauer und mobilen Zuschauer auf den schnellen Genuss aus - was so ziemlich das „Gegenteil“ von Dokumentarfilm zu sein scheint. Wenn man die erfolgreichsten YouTube Clips anschaut, wird das deutlich. Das ist aber natürlich, denn am Rechner (oder schlimmer: auf dem Smartphone) macht man viele Dinge parallel und die Aufmerksamkeitsspanne ist minimal. Die Popularität von Dokumentarfilmen wird durch das Internet wohl nicht steigen, aber ein Suchender kann „seinen“ Dokumentarfilm wohl leichter finden.


Text — Daniel Sondermann




Matthias Stoll wurde 1983 in Singen geboren. Er lebt und arbeitet in Köln. Grundständiges Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln von 2005 bis 2011. Diplom im Bereich Film mit dem Essayfilm Sterben nicht vorgesehen.




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© MATTHIAS STOLL

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