MOOZ

Logo
Logo Text

MOOZ – on moving images and audiovisual arts 

L'affranchie

08:09
"L'affranchie" von Pauline Flory
Pauline Flory
2010, 7:58 Min., Farbe

2010, 7:58 Min., Farbe
Regie, Idee, Animation, Schnitt und Musik: Pauline Flory
Geräusche: Jie Lu
Sounddesign: Kabelton
Betreuung: Prof. Raimund Krumme, Stéphanie Beaugrand
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln


Eine Marionette schläft und träumt, dass sie sich von ihren Schnüren und Kreuz befreit. Die wirkliche Freiheit benötigt aber Mut und Willen.



Interview mit Pauline Flory

Du hast zuerst Zeichnen und Malerei studiert, wie bist Du zur Animation gekommen?

Nach dem Abitur habe ich an der École Estienne in Paris studiert und habe meinen Abschluss mit dem Schwerpunkt Kupferstich gemacht. Damals wollte ich im Bereich Illustration oder Grafikdesign arbeiten. Ich habe immer sehr gerne Geschichten erzählt und irgendwann habe ich bemerk, dass "stille Bilder" mir dafür nicht mehr gereicht haben. Ich hatte Lust meine Geschichten mit Zeit, Bewegungen und Sound zu erzählen. So bin ich langsam zur Animation gekommen. Dennoch bin ich aber von meinem ursprünglichen Studium sehr geprägt, zum Beispiel arbeite ich gern mit Schrift, was mir damals bei der Illustration schon sehr wichtig war. Traditionelle Zeichenmaterialien wie Papier, Bleistifte oder Zeichenkohl sind in meiner Arbeit  sehr präsent. Ich animiere lieber "analog" und mache mir gerne die Hände schmutzig! Ich betrachte jetzt meine gemalten Bilder nicht mehr als Einzelwerk, sondern  als "Bildsequenz" oder als Film.

Wie kann man sich den Arbeitsprozess bei Dir vorstellen?
Einen Arbeitsprozess habe ich (noch?) nicht. Es gibt natürlich Etappen, die sich wiederholen, das ist aber nicht immer bewusst und absichtlich. Oft fange ich mit einem Charakter an. Ich habe viele Skizzenhefte, wo ich ab und zu etwas zeichne. Manchmal fokussiere ich eine Zeit lang auf eine Form, die sich später zu einer Figur entwickelt. Dann frage ich mich, was ich mit oder genauer gesagt über diese Figur erzählen könnte. Der dritte Schritt wäre die richtige Technik zu finden, die am besten diese Geschichte mit erzählen würde. Für "L'affranchie" hatte ich Lust mit einer Marionette zu arbeiten, weil mich dieser Gegenstand fasziniert und ein sehr hohes metaphorisches Potential hat. Durch die Marionette kam ich zu den Themen Freiheit und Willenskraft. In dem Film gibt es zwei Marionetten, eine geträumte und eine "reale" Marionette. Die Marionette in dem Traum habe ich mit Zeichentrick animiert: das ist die freie und willensstarke Marionette. So sehe ich auch die Technik des Zeichentricks. Alles ist eigentlich möglich und man muss selber Entscheidungen treffen und Grenzen aufbauen. Die reale Marionette ist mit Puppentrick animiert: das ist die zögerliche und verklemmte Marionette. Die Technik des Puppentricks ist mehr begrenzt. Je nachdem wie die Puppe aufgebaut ist, sind einige Bewegungen möglich oder eben nicht. Es ist für mich das erste Mal, dass ich mit Puppentrick gearbeitet habe, obwohl es nicht meine Lieblingstechnik ist. Ich fand es für diese Geschichte aber sinnvoll. Dazu muss ich sagen, dass es mir sehr viel Spass gemacht hat. Man muss wirklich mit der Puppe arbeiten und auch körperlich (ich stand teilweise auf allen vieren auf der Bühne, um die Puppe zu animieren). Die Puppe wird zu einem echten Spielpartner, aber wenn man nach dem Dreh das Licht ausmacht, liegt  die Puppe plötzlich leblos auf der Bühne, das ist sehr beeindruckend.

Was ist für Dich bei der Animation besonders wichtig?
Mich interessieren  hauptsätzlich die Bewegungen: was kann man durch Bewegungen erzählen? Ich mag zum Beispiel keine Animationsfilme, in denen zu viel geredet wird. Ich frage mich immer, ob eine bestimmte Geschichte sich vielleicht mit Schauspielern besser erzählen lassen würde. Wenn ja, gibt es keinen Grund einen Animationsfilm daraus zu machen. Also wenn man sich für Animation entscheidet, sollte man die Möglichkeiten und die Eigenschaften der Animation auch nutzen. Bei der Animation braucht man nicht alles zu erklären oder glaubwürdig zu sein. Man kann eine Fantasiewelt schaffen und ihre eigene Logik selber bestimmen. Das ist viel Freiheit und gleichzeitig verantwortungsvoll.

Wie schaffst Du es, Deinen Figuren den Ausdruck von Gefühlen zu verleihen? Wie wichtig sind kleine Gesten und Details dafür?
Gefühle entstehen durch Bewegungen und Verhalten. Meine Figuren sind fast immer stumm und die Gesichter sind sehr einfach und stilisiert. In "L'affranchie" bleibt das Gesicht der Puppe unverändert. Ihre Gefühle werden durch ihr körperliches Verhalten vermittelt. Damit eine Figur einen bestimmten Charakter bekommt, sollte man sich überlegen, wie sie sich verhält. Das Verhältnis zu anderen Figuren kann auch helfen, Gefühle auszudrücken. Im meinem Abschlussfilm "Le Nombril" wird der Hauptcharakter (ein Pinguin) von einer Randfigur begleitet (eine Schlange). Das Thema des Films ist die Suche nach der Identität. Die Randfigur hat mir sehr geholfen, die Gefühle und den Charakter der Hauptfigur auszudrucken. Wenn man ganz allein ist, braucht man sich keine Gedanke über Identität zu machen. Der Pinguin ist eine fröhliche und neugierige Figur. Er ist einem kleinen Kind ähnlich und bewegt sich auch wie ein Kind: er ist spontan, etwas ungeschickt, freundlich und unvorsichtig, er lernt gerne... Seine Bewegungen erinnern also an eine Mischung aus Kind und Pinguin. Für jede Figur versuche ich, eine eigene (körperliche) Sprache zu entwickeln.

Deine Figuren scheinen immer auf der Suche zu sein. Hast Du ein Thema?
Wenn ich meine Arbeit betrachte, merke ich, dass es sich generell um existenzielle Fragen handelt. Der Traum und der Schlaf kommen auch oft vor. Ich würde aber trotzdem nicht sagen, es sind meine Themen, weil ich nicht eine Geschichte um ein bestimmtes Thema entwickle. Es ist nur etwas, das ich nachher feststellen kann und nicht unbedingt bewusst mache. Ich glaube, dass meine "Themen" Fragen sind, die mich wahrscheinlich in dem Moment beschäftigen. Bei meinem Film "Le Nombril" geht es um die Suche nach Identität. Jetzt mit etwas Abstand merke ich, dass mich die Frage der Identität  seit ich in Deutschland bin beschäftigt hat. Seit ich weg von meiner Familie und meinem Land bin, habe ich mich besser kennengelernt. Wahrscheinlich taucht dieses Thema deswegen bei meinem Abschlussfilm auf. Aber wie gesagt, wenn ich an einem Projekt arbeite, habe ich nicht den Abstand, um diesen Prozess wahrzunehmen.
Bei meinem Film "Rendezvous mit einer Toten", der mit 3sat für den Thementag "Brudertod" produziert wurde, war das ein bisschen anders. Ich sollte einen Film zum Thema Tod entwickeln, was damals gar kein Thema war, das mich gerade beschäftigt hatte. So habe ich versucht, dieses Thema zu besetzten und habe den Tod als Verlust betrachtet.
Aber ja, die Suche ist auf jeden Fall eine gute Zusammenfassung von meiner Arbeit. Ich bin selber ständig auf der Suche, ich bin immer etwas unzufrieden mit meiner Arbeit und genau deshalb mache ich weiter und hoffe, dass der nächste Film besser wird!


Welche Bedeutung hat für Dich der Sound bzw. die Sprache in Deinen Animationen? Ist der Sound die Sprache Deiner Charaktere? Entsteht diese Sprache in Verbindung mit den Bewegungen in Deiner Animation?
Sound ist ein Grund, weshalb ich zur Animation gekommen bin. Ich habe Jahren lang Klavier und Gitarre gespielt, leider war ich nicht besonders talentiert. Es ist trotzdem immer noch sehr wichtig in meinem Leben und in meiner Arbeit. Für den Film "L'affranchie" habe ich den Sound gemacht selber, weil ich viel Lust hatte es auszuprobieren. Bei "Le Nombril" hatte ich das Glück, mit einem sehr guten Komponist und Sounddesigner zu arbeiten (Alexander Zlamal). Im Gegensatz zu Spielfilmen gibt es bei Animationsfilmen keinen schon existierenden Sound, man muss alles erfinden und da gibt es natürlich unzählbare Möglichkeiten. Grundsätzlich versuche ich, mit der Musik und dem Sounddesign zusammenzuarbeiten und nicht von einander zu trennen. Der Sound spielt eine wichtige Rolle und darf nicht nur illustrativ sein. Bilder und Sound sollen miteinander kommunizieren, um eine neue Richtung  oder Stimmung zu schaffen. Ich versuche auch die Bilder nicht mit zu viel Sound zu überfordern, ich finde, dass die  Stille auch ein wichtiger Teil des Sounds ist und Gefühle vermitteln kann. Mein Film "Rendezvous mit einer Toten" hat zum Beispiel keine Musik, der Sound besteht nur aus Geräuschen. So wirkt für mich der Film stärker und der Zuschauer wird, bei dem schon emotionalen Thema des Films (der Tod), nicht durch vorgetäuschte Musik manipuliert.
Ich achte darauf, dass die Figur bei dem Sounddesign und den Geräuschen unterstützt wird, dass sie dadurch an Persönlichkeit gewinnt. Der Sound ist außerdem eine tolle Art eine fiktive Räumlichkeit und eine Fantasiewelt darzustellen. Nach langer Arbeit mit den Bildern ist es jedes Mal sehr spannend den Film zum ersten Mal mit der Vertonung anzuschauen, es ist wie eine Verwandlung.

Wie geht es für Dich nach dem Studium mit der Animation weiter? Gibt es die Möglichkeit auch Auftragsarbeiten zu machen?
Es ist gar nicht einfach, die Kreativität mit dem Finanziellen bei der Animation zu kombinieren. Damit stehe ich noch am Anfang, aber es ist gleichzeitig sehr aufregend. Langsam entwickelt es sich und auch wenn ich mal wieder finanzielle Schwierigkeiten habe, freue ich mich, meine Leidenschaft ausleben zu dürfen. Das ist natürlich auch ein Lebensentscheidung und ich stehe dazu. Ich arbeite auch mit Kindern bei Workshops zum Beispiel, was ich immer sehr spannend und interessant finde. Kindern sind heutzutage total mit bewegten Bildern überfordert, trotzdem kann man ihnen beibringen, etwas Abstand zu nehmen und kritisch zu werden. Das ist wichtig und es gefällt den Kindern, ernst genommen zu werden. Das gibt mir persönlich viel Hoffnung für die Zukunft in der Film und Fernsehen Branche und es gibt mir Kraft, mit meiner Arbeit weiterzumachen.


Text — Daniel Sondermann



Pauline Flory wurde 1981 in St. German en Laye, Frankreich, geboren. Sie lebt und arbeitet in Köln. Grundständiges Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln von 2005 bis 2011. Diplom im Bereich Film mit dem Animationsfilm Le Nombril


Mehr über Pauline Flory und ihre künstlerischen Arbeiten erfahren Sie unter www.paulineflory.eu



← Alle Filme sehen

© PAULINE FLORY

ÜBER MOOZ

Der virtuelle Ort für künstlerische Arbeiten mit dem bewegten Bild und für experimentelle audiovisuelle Formate der Kunsthochschule für Medien hat einen neuen Namen: MOOZ. Die  auch weit über die KHM hinaus bekannte Plattform für Nahblicke auf die künstlerischen Projekte und Produktionen arbeitet nun mit dem Spiegelungsprinzip: MOOZ reflektiert die vielschichtigen Sequenzen und Formate, spiegelt bislang noch nicht Wahrgenommenes oder gerade erst Hergestelltes in die virtuellen Räume zurück. MOOZ vollzieht damit auch einen Perspektivwechsel: Es geht nicht nur um den Blick auf und in die überwiegend kurzen, audiovisuellen Formen und Entdeckungen zum Vlog, Found Footage, Essayfilm, dokumentarische und performative Formate, abstrakte und experimentelle, installative Anordnungen, sondern mit welcher Linse, welchem Fokus, welchem Zoom die Bewegtbildarbeiten zurückblicken auf die ebenso differente und vielstimmige Welt der User*innen.


Das Spiegelungsprinzip von MOOZ ist auch programmatisch zu verstehen: denn jedes Projekt wird von einer anderen Stimme reflektiert, der*die mit den künstlerischen Arbeiten denkt, einen spezifischen Fokus darauf richtet und die Betrachter*innen zu eigenen Projektionen anregt.


MOOZ@KHM.DE

Bitte warten