Haunted by reality - Literatur als Geisterbeschwörung des Realen

„Europa ist eine Ruine, in den Ruinen werden die Toten nicht gezählt. Die Wahrheit ist konkret, ich atme Steine. Leute, die ihre Arbeit machen, damit sie ihr Brot kaufen können, haben für solche Betrachtungen keine Zeit. Aber was geht mich der Hunger an. Uneinholbarkeit des Vorgangs durch die Beschreibung.“ (Heiner Müller: Das Gefühl des Scheiterns, 1955/1961)

Wessen Gedanken mache ich mir? Worüber spreche ich? Wessen Probleme verhandle ich und in wessen Namen spreche ich? Gibt es ein Scheitern der Literatur als Versuch einer Gegenwartsbeschreibung wie sie Heiner Müller beschrieb. Wie begegne ich dem Gefühl, dass mich die Gegenwart stets überholt hat? Oder dem Ausgesetztsein ihrer Komplexität?

Wir werden uns anhand von ausgewählten realismuskritischen Positionen (u.a. Hubert Fichte, Elfriede Jelinek, Annie Ernaux, Heike Geißler oder Denis Johnson, Swetlana Alexijewitsch, Michel Leiris oder Friederike Mayröcker) unterschiedliche Modelle der Mitschrift, Zeitgenossenschaft und dem Arbeiten mit dokumentarischem Material kennenlernen, uns über Anlässe und Dramaturgien Gedanken machen und von technischen und recherchebezogenen Fragen bis zu der spezifischen Form kommen. „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ (Peter Handke) wird uns genauso begegnen wie andere Verwicklungen zwischen dem „ich“, dem „wir“ und der Welt.

In diesem Theorieseminars soll es durchaus auch um eigene Arbeiten gehen, auch anhand von Übungen und Fragen, die sich aus dem eigenen Schreibprozess ergeben. Es ist auch für die Studierenden gedacht, die z.B. das Fachseminar „Vor dem Gericht“ belegen und offen für Studierende aus dem Hauptstudium und findet hybrid statt.