Jeder Mensch ist in der Lage, sein eigenes Ende zu denken, sich selbst als nicht existierend zu imaginieren. Vielleicht macht gerade das den Menschen zum Menschen und ermöglicht ihm ein Weiterleben? Das Wissen um das eigene Ende bestimmt die Entscheidungen, Lebensentwürfe und Wertvorstellungen. Die Idee für die Serie ""nur ich"" entstand aus der Auseinandersetzung mit Bildern von Suiziden in der Bildenden Kunst in den letzten 1000 Jahren. Die künstlerischen Darstellungen zeigen fast immer erotische und begehrliche Helden und Heldinnen, die sich meist für höhere Ideale wie Keuschheit, Ehre und Stolz den ""Tod geben"". Der Selbstmord wird über Jahrhunderte sowohl in der Kunst als auch in der Literatur überhöht, verherrlicht und so gut wie nie wirklich realistisch dargestellt. Suizidanten in der Kunst sind schön, rein, stark, beneidenswert. Sie werden zu Vorbildern und der Tod wird absurderweise zu einem verklärten Daseins-Zustand. Von diesen Bildbotschaften wurden die Menschen Jahrhunderte lang geprägt und verführt. Der Tod und seine Vermarktung als Instrument der jeweiligen Macht spielte seit Jahrtausenden eine entscheidende Rolle. Auch heute wird den Menschen der Tod zunehmend entfremdet als Grusel- und Unterhaltungsfaktor des abendlichen TV-Programms: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod hemmt den Konsum - die weitgehend abstrakte Angst vor dem Tod treibt den Konsum jedoch an und erhöht die Einschaltquoten. Die Foto-Serie ""nur ich"" ist ein Versuch, sich dem Phänomen Suizid in unserer Gegenwart zu nähern. Aus der Aussicht auf ihr eigenes Leben heraus begehen Menschen Suizid. Kaum jemand in unserer Gesellschaft hat wirklich die Möglichkeit, mit den ihm nahe stehenden Personen über sein Vorhaben zu sprechen oder seine Zweifel am Leben zu formulieren. In tiefster Verzweiflung, innerer und manchmal auch äußerer Isolation erscheint den Menschen ein Fortsetzen ihres Daseins völlig unmöglich. Mit oft erstaunlichem Aggressionspotenzial realisieren sie ihre eigene Vernichtung, brutal, phantasievoll, unter größten Schmerzen und Überwindung. Bei der Bilder-Serie habe ich mit Archivbildern von Suiziden aus den letzten Jahren gearbeitet. In den Bildern werden authentische Suizidfälle dargestellt, mit allen Konsequenzen der Gewalttat gegen sich selbst. Zurück bleibt anonymes Fleisch, das noch vor Ort von den Ärzen und der Polizei untersucht wird. Die Leiche wird nicht primär als Person wahrgenommen, sondern als Todesfall behandelt, entkleidet, gewendet, fotografiert, eingepackt, abtransportiert. Die Reste, Körperstücke, Körperflüssigkeiten, Hautfetzen, werden eingesammelt, beseitigt. Das Subjekt wird zum Objekt. Keine Spur von Verklärung und Schönheit. Das von mir ausgewählte Archivmaterial wurde verfremdet, überarbeitet und erneut fotografiert. Die Bilder der Fotoserie ""nur ich"" reflektieren die in Deutschland häufigsten Suizid-Arten in einer ikonenhaften Weise - Orte und Gesichter sind nicht mehr erkennbar. Die Selbsttötungs-Art und ihre Folgen werden untersucht. In der Ausstellung spiegelt sich der Betrachter in den verglasten Oberflächen der Bildern selbst wieder. Er wird zum Bestandteil der Bildkomposition, zum Teil der Szene. So ist der Suizidant niemals alleine. Ein Mensch bringt sich immer im Kontext seines Lebens um. Jeder Mensch interagiert in irgendeiner Form mit den anderen Menschen. Ohne es zu wissen, werden sie zu seinen Suizid-Komplizen, seiner Kulisse für das Drama der Entscheidungsfindung; sie sind eine Tür weiter, während sich der Andere umbringt oder Wand an Wand Monate lang als Leiche verwest. Vielleicht wird auch durch eine scheinbar belanglose Bemerkung oder Handlung der Impuls ausgelöst, welcher zum Ausführen der Suizid-Idee führt.
Betreuung:
Prof. Jürgen Klauke, Prof. Matthias Müller, Andreas Altenhoff
Autor/innen: Eine Produktion der Kunsthochschule für Medien Köln
Quelle:
Archiv Kunsthochschule für Medien Köln
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