
Buchpräsentation und Künstler*innengespräch zu einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der unabhängigen Frauen*- und Lesbenbewegung in der ehemaligen DDR.
Auf Einladung von Anna Bromley und Andreas Langfeld präsentiert Luise Schröder ihr jüngst erschienenes Künstler*innenbuch Strömungen in Bewegung. Das Buch speist sich aus Schröders transgenerationaler, künstlerischer Erforschung der Frauen*- und Lesbenbewegung in der DDR. Im Buch verarbeitet Schröder Dokumente aus dem Archiv der DDR-Opposition, das die Robert-Havemann-Gesellschaft im Jahr 1992 eröffnet hat. Nach der Künstler*innenpräsentation sprechen Anna Bromley und Andreas Langfeld mit der Künstlerin über ihr Einzoomen in Archivalien. Dabei wird es um Materialitäten gehen, aber auch um künstlerische Sorgearbeit, den Umgang mit Quellen und Verweisen und um das künstlerische Schreiben, auf das sich die Künstlerin für dieses Buch einließ.
ZUM BUCH: Auch dreißig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sind die Erfahrungen von Frauen*- und Lesbengruppen in der DDR vielfach unbekannt. Sie stellen eine historische Leerstelle dar, sowohl in Bezug auf die Narrative des Kalten Kriegs als auch hinsichtlich einer gesamtdeutschen Frauen*geschichte. In den künstlerischen Arbeiten, Fotografien, Videos und Publikationen von Luise Schröder spielen der Umgang mit Geschichte und Erinnerung sowie deren Bedeutung für die Gegenwart immer wieder eine wesentliche Rolle. Ausgehend von ihrer ostdeutschen Biografie setzt sich Luise Schröder in ihrer Publikation Strömungen in Bewegung inhaltlich und ästhetisch mit den oft vergessenen Aktivitäten nichtstaatlicher Frauen- und Lesbengruppen sowie queerer Menschen in der DDR der 1980er und 1990er Jahre auseinander. Sie widmet sich dabei teilweise bisher unveröffentlichten Bild- und Textkonvoluten aus dem GrauZone-Bestand des Archivs der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft und dem Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek Berlin.
Indem Luise Schröder die die Archivmaterialien subjektiv und aus künstlerischer Perspektive bearbeitet und verfremdet, thematisiert sie nicht nur die geschichtlichen Leerstellen, sondern beleuchtet auch die Bedeutung von Archiven als wirkmächtige Institutionen im Kontext von Erinnern und Vergessen. Darüber hinaus erforscht die Künstlerin die Poesie, die den Archivmaterialien innewohnt. Verschüttete und utopische Momente, die in der Geschichte angelegt sind, werden durch Selektion, Bearbeitung und Verfremdung des Materials hervorgehoben. So entstehen plurale Sichtweisen auf historische Verhältnisse. Neben einem umfangreichen Bildteil beinhaltet die Publikation auch einen essayistischen Text, in dem die Künstlerin ihre Sichtungs- und Auswahlprozesse und damit die Konstruktionslogiken von Geschichte verhandelt. Die Autor*in und Soziolog*in Judith Geffert, die die Wanderausstellung Gemeinsam sind wir unerträglich – Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR mitkuratierte, verfasste einen Begleittext für die Publikation, der deren Hintergründe historisch einordnet. Darüber hinaus enthält die Publikation einen 28-seitigen, neuzusammengestellten Reprint der frau anders, der einzigen Lesbenzeitschrift der DDR, die der Vernetzung und dem Informationsaustausch zwischen lesbischen Gruppen und einzelnen Frauen diente.
Strömungen in Bewegung beleuchtet das vielschichtige Verhältnis von Geschichte und Gegenwart, von Wahrheit und Fiktion, von Privatem und Öffentlichem und thematisiert gleichermaßen Strategien feministischer Selbstermächtigung und Widerstandspraxen mit Blick auf eine ostdeutsche Frauen*geschichtsschreibung. Die Künstler*innenpublikation ist 2025 bei FOTOHOF>EDITION erschienen und wurde von Anika Rosen gestaltet. Strömungen in Bewegung wurde beauftragt, unterstützt und finanziert durch das Berliner Programm Künstlerische Forschung, die Stiftung Kunstfonds / Neustart Kultur und die Sammlung SpallArt.
Luise Schröder ist bildende Künstlerin und lebt und arbeitet in Deutschland und Frankreich und beschäftigt sich in ihren künstlerischen Arbeiten, Fotografien, Videos und Publikationen mit Geschichte und Erinnerung und deren Bedeutung für die Gegenwart. Im Zentrum ihrer künstlerisch-forschenden Praxis steht dabei u.a. das fotografische Bild und seine Rolle und Bedeutung für unterschiedliche Formen des Gedenkens und Erinnerns. Ihren Arbeiten, denen stets umfangreiche theoretische und praktische Recherchen zugrunde liegen, eröffnen poetische Reflexionsräume, alternative Wissenskontexte und neue Perspektiven auf Geschichte in der Gegenwart. Im Sinne W. Benjamins versteht sie Geschichte nicht als abgeschlossene hegemoniale Einheit, sondern betrachte sie als offen, mehrdimensional und als ein durch menschliches Handeln veränderbaren Prozess, der mit der Gegenwart in direkter Beziehung steht.
Luise Schröders Projekte und Arbeiten wurden international präsentiert, u.a. bei den Rencontres Internationales Paris/Berlin (F), im Centre Pompidou (F) in der Kunsthalle Baden Baden (DE), in der Galerie EIGEN+ART (Berlin/Leipzig, DE) und während der 7. Berlin Biennale für Zeitgenössische Kunst (DE). Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt die Künstlerin 2012 den C/O Talents Award und 2020 den SpallArt Preis Salzburg. Darüber hinaus hatte sie 2016 ein Stipendium in der Villa Aurora, Los Angeles und wurde 2018/19 mit einer Residenz in der Cité Internationale des Arts in Paris ausgezeichnet. Sie ist Teil des internationalen Künstler*innenkollektivs THE CROWN LETTER und aktuell Stipendiatin des Berliner Programm Künstlerische Forschung 2024/25.