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Aus dem Mittelalter der
Informationsgesellschaft Tilman Baumgärtel arbeitet als freier Autor über Netzkultur und Netzkunst. In diesem Beitrag für receiver beschreibt er, warum das Spannende am Internet - seine ständige Veränderung und Weiterentwicklung - auch das größte Handicap des Mediums ist: Was nicht fixiert ist, ist auch nicht präsent. Im Netz generierte Inhalte sind überall und nirgends, und irgendwann verschwinden sie von ihrem Nicht-Ort ins Nichts. Lassen Sie sich von Tilman Baumgärtel in den "Club der toten Browser" einführen. Der römische Feldherr Scipio Aemilianus soll geweint haben, als er den Befehl gab, Karthago zu zerstören. Dann zogen seine Truppen aus, brannten die Stadt nieder, schleiften die Gebäude, die noch standen, pflügten den Boden um und streuten Salz in die Furchen, damit dort nichts mehr angebaut werden konnte. Doch so gründlich die römischen Legionäre damals auch gewütet haben: Heute flanieren die Touristen in Tunesien durch ausgegrabene und teilweise restaurierte Gebäude, staunen über die kleinen steinernen Särge für Kinder am Wegesrand und die Mosaike im Bardo-Museum, oder sie wandeln durch die Ruinen der riesigen Thermen des Antonius. Auch wenn von Karthago nur Bruchstücke der Stadt übrig geblieben sind, die vor über 2000 Jahren gründlich zerstört wurde, kann man sich heute anhand der Ruinen ein Bild von der grossen, prächtigen und reichen Stadt machen, die hier einmal gestanden hat. Vielleicht werden die Historiker, die einmal die Geschichte des Computers und des Internet erforschen wollten, bitterere Tränen vergiessen als einst der römische Feldherr Scipio Aemilianus. Denn von den digitalen Welten, die in den letzten Jahrzehnten auf Computerfestplatten und später im Netz entstanden sind, werden sie wohl schon in gar nicht so ferner Zukunft wesentlich weniger Trümmer finden als die Archäologen, die heute im Auftrag der UNESCO die Ruinen der zerstörten Stadt Karthago ausgraben. Oder, im schlimmsten Fall, überhaupt keine. Ob in 2000 Jahren noch irgendwelche Überreste von der Technologie zu finden sein werden, die so revolutionäre Konsequenzen haben dürfte wie in der Vergangenheit Gutenbergs Druckerpresse oder James Watts Dampfmaschine, darf mit gutem Grund bezweifelt werden. Während sich die Computertechnologie in halsbrecherischem Tempo verändert und oft im Jahresrhythmus neu zu erfinden scheint, haben bis heute nur wenige Menschen darüber nachgedacht, was wohl mit Computern und ihren digitalen Erzeugnissen einmal geschehen wird, wenn sie nicht mehr Tag für Tag benutzt werden. Die Zeitläufte meinen es nicht gut mit den Maschinen, die Auslöser der wohl größten wissenschaftlichen und sozialen Revolution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen sind. Literatur und Kunst gewinnen mit der Zeit an Wichtigkeit und Bedeutung, doch alte Computer sind nach wenigen Jahren obsolete Technologie, die nur noch eins tut: im Weg herumstehen und Platz wegnehmen. Freilich: Nicht alle der alten Computer gehen verloren; mache von ihnen sind etwa im Heinz-Nixdorf-Museum in Paderborn oder dem Berliner Museum für Technik zu sehen, das sogar den ersten deutschen Computer nachgebaut hat - den mechanischen Z1, den Konrad Zuse in den 40er Jahren in der Kreuzberger Wohnung seiner Eltern konstruierte. Schwieriger ist es schon mit der Software, die auf diesen Grossrechnern lief: Sie war auf Lochkarten gespeichert, die oft verloren gegangen sind, und Programme, die auf anderen Datenträgern gespeichert wurden, können heute oft nicht mehr rekonstruiert werden, weil die entsprechenden Lesegeräte fehlen oder sich die Magnetbänder, Disketten oder CD-ROMs schlicht selbst zerstört haben. "Bitrot" nennt man diesen schleichenden Verfall von digitalen Daten und ihrer Trägermedien. Überhaupt, die Datenträger: Experten schätzen, dass die meisten Computerfestplatten innerhalb von einigen Jahrzehnten nicht mehr zu benutzten sind. Auch die von vielen für sicher gehaltenen CD-ROMs haben nur eine Lebensdauer von etwa 30 Jahren; Disketten und die Tonbandkassetten, auf denen z.B. viele Programme für den "Volkscomputer" VC 64 gespeichert wurden, sind nur zwischen fünf und zehn Jahren verlässlich haltbar - wenn sie nicht durch einen dummen Zufall oder das Ablegen auf dem Fernseher schon früher demagnetisiert worden sind. Sicherheits-Kopien von Texten oder Bildern der eigenen Festplatte sind darum eher Ersatzhandlung als dauerhafte Speicherung der digitalen Relikte des eigenen Lebens.
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