Welchen Einfluß wird ein derart weites Feld an sexuellen Möglichkeiten und Gelegenheiten auf die Institution der Ehe und das Konzept der festen Beziehung haben?

Die Technologie des virtuellen Sex wird eine Vielzahl verführerischer Entwicklungen einleiten, und die Definition einer monogamen Beziehung wird immer weniger eindeutig werden. Einige werden die Ansicht vertreten, daß der Eintritt in eine Welt intensiver sexueller Erlebnisse per mentalem Mausklick mit sexueller Treue in einer Beziehung völlig unvereinbar sei. Andere werden - wie heute schon die Befürworter sexueller Unterhaltung und sexueller Dienstleistungen - dagegenhalten, daß solche Zerstreuungen ein gesundes Ventil seien und der Aufrechterhaltung gesunder Beziehungen dienten. Natürlich wird jedes Paar auf diesem Gebiet zu einer eigenen Übereinkunft kommen müssen, doch wird es aufgrund der immensen Privatheit, die diese Zukunftstechnologie ermöglicht, immer schwieriger sein, klare Grenzen zu ziehen. Wahrscheinlich wird die Gesellschaft in der virtuellen Arena Praktiken und Handlungen akzeptieren, die sie in der materiellen Weit ablehnt, weil es meistens (aber nicht immer) leichter ist, virtuelle Aktivitäten ungeschehen zu machen. Nicht nur für sinnliche und sexuelle Kontakte, sondern auch für Romanzen jeglicher Art wird die virtuelle Realität ein großartiger Ort sein. Man könnte mit seiner Geliebten die virtuelle Champs Elysées entlangschlendern, einen Spaziergang am virtuellen Strand von Cancún machen, sich in einem simulierten Wildpark in Moçambique aufhalten. Eine ganze Beziehung könnte sich ausschließlich in Cyberland abspielen.

Der Zutritt zur virtuellen Realität mittels einer externen visuell-auditiv-haptischen Schnittstelle ist nicht die einzige technische Neuerung, die die Sexualität im 21. Jahrhundert verändern wird. Sexroboter oder Sexbots werden etwa ab dem dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts immer beliebter werden. Heutzutage ist die Vorstellung, eine intime Beziehungen zu einem Roboter oder einer Puppe zu haben, noch recht unbefriedigend, da Roboter und Puppen einfach zu unbelebt sind. Doch dies wird sich ändern, wenn die Roboter die Weichheit, Intelligenz, Geschmeidigkeit und Leidenschaftlichkeit ihrer menschlichen Schöpfer gewinnen. (Gegen Ende des 21. Jahrhunderts wird es zwischen Robotern und Menschen keinen klaren Unterschied mehr geben. Wie auch sollte man unterscheiden zwischen einem Menschen, der seinen Körper und Geist mittels der neuen Nano- und Computertechnologie aufgerüstet hat, und einem Roboter, der seinen menschlichen Schöpfer an Intelligenz und Sinnlichkeit übertrifft?)

http://www.nytimes.com/books/99/01/03/reviews/990103.03mcginnt.html
Rezension zu Kurzweils Buch in der NY Times (nach Anmeldung)

Ab dem vierten Jahrzehnt werden virtuelle Erlebnisse durch Neuroimplantate möglich werden. Dank dieser Technologie wird man in der Lage sein, fast jede Art von Erfahrung mit fast jeder Person zu machen, und zwar real oder imaginär und zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Es wird ganz ähnlich sein wie die heutigen Chat Rooms im Internet, nur daß man die notwendige Ausrüstung bereits im Kopf hat und sehr viel mehr tun kann, als nur zu plaudern. Man ist den Begrenzungen seines natürlichen Körpers dann nicht mehr unterworfen, da alle beteiligten Personen jede gewünschte körperliche Gestalt annehmen können. Eine Vielfalt von Erlebnissen wird möglich sein: Ein Mann kann spüren, wie es ist, eine Frau zu sein, und umgekehrt. Auch gibt es keinen Grund, warum eine Person bei der Realisierung oder wenigstens virtuellen Realisierung ihrer allein geträumten Phantasien nicht Mann und Frau zugleich sein sollte. Und natürlich wird es in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts Nanobot-Schwärme geben - den guten alten sexy Foglets-Nebel zum Beispiel. Die Nanobot-Schwärme könnten augenblicklich jede gewünschte Gestalt und jede gewünschte Art von Erscheinung, Intelligenz und Persönlichkeit annehmen - eine menschliche zum Beispiel, wenn man sich davon angeturnt fühlt.

http://www.kurzweilcyberart.com/
Ein Programm, das Gedichte schreibt

Auszug aus: Ray Kurzweil: Homo S@piens. Leben im 21. Jahrhundert - Was bleibt vom Menschen? (c) für die deutsche Ausgabe by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1999.

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