Laboratorium/Wintergarten
in der Städtischen
Galerie Bietigheim-Bissingen
von Andrea Richter, MA
Unter der Überschrift „Das
Labor im Garten“ fand die Installation Laboratorium/Wintergarten von Dr.
Klaus Fritze 2007/2008 Einzug in die Ausstellung „Garten Eden - Der Garten
in der Kunst seit 1900“ der Kunsthalle Emden und der Städtischen
Galerie Bietigheim-Bissingen.
Der Garten war immer schon ein Versuchsfeld, in welchem Eigenschaften von Pflanzen
und auch das Wesen der Natur als Ganzes erforscht wurden. Ob in klösterlichen
Kräutergärten oder in absolutistischen Barocklustgärten, der
Garten diente als Labor und Experimentierraum sowohl medizinischen als auch
ökologischen Zwecken. Er lässt sich permanent neu erfinden und mit
gesellschaftlichen Prozessen vernetzen. Unter dem Aspekt des Gartens und vor
dem Hintergrund von Stammzellenforschung und explosionsartigem Wachstum der
Weltmetropolen nimmt die Kunst heute ebenso zu bioethischen wie urbanistischen
und gesellschaftspolitischen Fragen Stellung.
Der promovierte Biologe und Künstler Klaus Fritze arbeitet in seiner Installation
mit lebenden Pflanzen, die er im Labor unter sterilen Bedingungen in Gläser
einschließt. Die Luftzufuhr wird durch eine dünne Filzdichtung zwischen
Deckel und Glas gewährleistet, die aufgrund der dichten Faserstruktur zusätzlich
als Keimbarriere fungiert. Der Betrachter wird zum Zeugen eines biologischen
Experiments. Die Installation Laboratorium/Wintergarten vereint hunderte dieser
minimalistischen und gänzlich autarken Gärten, die der Künstler
mit Labormaterialien und einem Archiv von Zeitungsausschnitten kombiniert. Fritzes
temporäres Labor wird dabei der jeweiligen Ausstellungsumgebung flexibel
angepasst und als fortlaufendes Sammlungs- und Kategorisierungsprojekt medialer
Fundstücke immer wieder neu und anders errichtet.
Die Aufstellung von Laboratorium/Wintergarten in der Städtischen Galerie
Bietigheim-Bissingen mutet wie ein grüne, sonnenbeschienene Oase mit lebendig
wachsenden Grünpflanzen inmitten von Ausstellungsräumen an. Der ausgestaltete
Raum wurde durch eine eigens dafür gezimmerte Holzkonstruktion mit eingelassenen
Fenstern und Durchgang von den übrigen Ausstellungsräumen separiert.
Die Fensterfront des Raumes ergibt eine natürliche Beleuchtung und verleiht
dem Laboratorium/Wintergarten eine auffällig helle Erscheinung. Die sich
nun wie ein Gewächshaus ausnehmende Installation bildet eine außerordentlich
große Anziehungskraft für die Besucher.
Bereits von Außen erschließt sich der nahezu überquellende
Charakter dieser modernen Wunderkammer, angefüllt mit verschlossenen Einweckgläsern,
die Wiesenrispengräser enthalten, Reagenzgläser, Petrischalen und
überall verteilt finden sich aufgehängte, aufgestellte und in Probefläschchen
gesteckte, ausgeschnittene Zeitungsfotos mit ausnahmslos Brustbildern von Politikern,
Stars und anderen eher weniger berühmten Persönlichkeiten.
Die Unmenge an Zeitungsausschnitten lässt zunächst auf eine ungeheure
Sammelleidenschaft des Künstlers schließen. In dieser Aufreihung
von Gesichtern, einem vermeintlichen Chaos, muss man sich erst zurecht finden
und nach einer zugrunde liegenden Ordnung suchen. Doch unter welchen Kriterien
wurden die Funde archiviert? Wurden die Fotos überhaupt mit Hilfe eines
bestimmten Systems zusammengestellt? Offensichtlich sind die Personen nicht
nach ihren Berufen oder politischen Einstellungen sortiert worden, denn hier
stehen Politiker neben Schauspielern und Namenlose neben Berühmtheiten.
Einen Hinweis auf angestrebte Ordnungskriterien geben aber beschriftete Pergamenttütchen,
die mit denselben Zeitungsausschnitten gefüllt sind.
Ihre Beschriftungen zeigen an, dass Fritze anhand äußerer Merkmale
wie Gesten oder Mimik der Fotografierten seine Kategorien festlegt. (Linksblickende
Brillenträger mit offenem Mund, Teilbartträger, Kopfbedeckte) Die
experimentelle Erforschung diverser Medienformate hatte Klaus Fritze schnell
davon ab geführt, eine Ordnung anhand von sozialen Kriterien zu erstellen.
Der promovierte Biologe ließ sich eher von wissenschaftlichen Methoden
wie der Systematik eines Carl von Linné inspirieren.
Mitte des 18. Jahrhunderts erschuf dieser über das Sammeln von naturhistorischen
Kuriositäten in Wunderkammern und deren Inventarisierung ein System der
Benennung und Kategorisierung von Pflanzen- und Tierarten: die binominale Nomenklatur.
Diese Leistung war ein zufälliges Nebenprodukt der enormen enzyklopädischen
Tätigkeit Linnés. So schuf er einen Weg, um in knapper, präziser
und praktischer Form das Erkennen und Erfassen von Gattungen und Arten zu ermöglichen.
Linné unterteilte dabei die Arten bewusst anhand künstlich ausgewählter
Merkmale wie Anzahl, Form, Größenverhältnis und Lage in Klassen
und Ordnungen, berücksichtigte aber die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse
der Arten untereinander nicht.
Fritze geht in seiner Ordnung von ähnlichen, künstlich gewählten
Merkmalen aus wie Linné. Im Nebeneinander der Wiesenrispengräser
als Naturalia und der Zeitungsausschnitte als Artefakte wird eine eigentümlich
schlüssige Ordnung sichtbar, die bald eine Geschichte erzählt. Denn
das Organische wird hier unter sterilen und kontrollierten Bedingungen gehalten
und die medialen Artefakte wirken leblos. Biologie, gerade wenn sie sich in
Laboratorien abspielt, ist heutzutage besetzt von Unmenschlichkeit und Unnatürlichkeit.
Experimente wie das Klonen, aber auch Tierversuche oder Genmanipulationen verleihen
diesem naturwissenschaftlichen Zweig kein grundsätzlich gutes Ansehen mehr.
Der Mensch eigentlich selbst Teil der Natur hat sich über diese erhoben,
mit ihr zu experimentieren, sie für sich nutzbar zu machen oder sie zu
zerstören. Im Labor wird der Mensch zu Gott, er lässt entstehen, kreiert,
schöpft und geht dabei doch ganz grundsätzlichen Fragen der Menschheit
nach: Ist das Leben nur eine Ausdrucksform des ewigen Prinzips ein für
allemal festgelegter Abläufe oder freies Spiel zwischen Kräften, so
dass lediglich aus Kombination und Variation der Naturgesetze Neues entsteht?
Indem Fritze nostalgisch-traditionelle und biotechnisch-moderne Aspekte zusammenführt,
macht er auch auf die zweifelhaften Experimente hinter dem vermeintlichen Idyll
des Gartens aufmerksam. In seinem Laboratorium finden wir menschlich-mediale
Artefakte und die Natur aber nebeneinander vor, wobei beides zusammengeführt
und unter denselben Kriterien geordnet wird. Auf den Menschen werden die Kategorien
zurückgeworfen, die er zur Ordnung der Natur anwendete. Fritze verweist
also nicht nur auf die Probleme hinter der Forschung, sondern zelebriert hier
eine Aussöhnung zwischen Mensch und Natur gemäß „quid
pro quo“.
Das anfänglich als Chaos erscheinende Labor Fritzes klärt sich mit
dem Erkennen und Verstehen mehr und mehr in eine geordnete Ansammlung und Zusammenstellung.
In einer harmonie- und ordnungsstiftenden Leistung versucht Fritze molekularbiologische
und politikrelevante Themen, wissenschaftliche Formalismen, Akkumulation von
Informationen und Objekten mit künstlerischen Strategien und mit erlernten
wissenschaftlichen Methoden, gestalterisch und ästhetisch zu strukturieren
und bewegt sich dabei auf den feinen Grenzen zwischen Chaos und Ordnungen. Dennoch
bleibt sein Laboratorium etwas Imaginäres, Phantasiertes und Alchemistisches
– eine Wunderkammer.
Die Wachstumsprozesse, die in der Installation anhand der Gräser verdeutlicht
werden, spielen auch eine Rolle für das Gesamtkunstwerk, das Fritze dem
jeweiligen Kontext der Ausstellung anpasst und weiterentwickelt. Der Aufbau
als Arbeitsprozess soll dabei nicht abgeschlossen sein, sondern als offener
Prozess vorhanden bleiben. Demnächst wird das Laboratorium als Evolutionsgarten
in der ERES Stiftung München (Plattform für den Dialog von Wissenschaft
und Kunst) im Kontext der Ausstellung und des Symposiums „Artensterben
– Artenwechsel“ gezeigt werden.
Laboratorium/Wintergarten, 2008
Verschiedene Materialien, Temporäre Installation mit Wachstumsprozessen
mixed media, vielteilig (flexible Masse)
Besitz des Künstlers
Courtesy Galerie Brigitte Schenk, Köln
Verfasserin:
Andrea Richter M.A.
Geboren 1980 in Berlin
2001-08 Studium der Kunstgeschichte, Religions- und Erziehungswissenschaft in
Freiburg im Breisgau, Paris und Heidelberg, Magisterabschluss 2008, wohnhaft
in Stuttgart