Experimentalfilm heute: Verloren gegangen zwischen Kunst und Kino?

Die Entwicklung des Experimentalfilms ist seit je vom Lamento derjenigen Filmkünstler begleitet, deren Arbeiten unter diesem Begriff subsumiert werden: Er betone das Vorläufige, allein aus Bastelei und unkontrollierbaren Zufällen Resultierende, stelle den Werkcharakter von entsprechend klassifizierten Filmen in Frage, setze einen künstlerisch ambitionierten Zweig der Filmproduktion zum Testlabor für das „große“ Kino herab und schrecke letztlich ein potentielles Publikum eher ab, als Interesse bei ihm zu wecken. Zahllose alternative Benennungen, wenig konsensfähig und längst wieder verworfen, wurden entwickelt. Halten wir also noch einen Moment an diesem langlebigen Begriff fest und verwenden wir ihn für Filme, die unter nicht-industriellen Bedingungen produziert werden, sich gängigen Repräsentationsmustern und etablierten Formen der filmischen Narration verweigern und stattdessen konsequent ihrer eigenen Logik und Dynamik folgen.

Der Diversität der Erscheinungsformen dieses oft persönlich geprägten Kinos steht seit der digitalen Revolution eine fortschreitende Konvergenz der technischen Mittel Film und Video gegenüber. Ist heute eine mehr als technische Unterscheidung der medialen Künste Experimentalfilm und Videokunst noch sinnvoll, nachdem beide das Stadium der Selbstreferenzialität längst überwunden haben? Seit langem setzen die „alten MeisterInnen“ der filmischen Avantgarde ihr Werk digital fort, während viele junge Medienkünstler überraschend das Medium Film wiederentdecken. Für viele von ihnen ist das Referenzsystem „Experimentalfilm“ nahezu irrelevant.

Das digitale Zeitalter hat dem Experimentalfilm auch neue Präsentationsformen erschlossen: Seit langem beobachten wir Kontextverschiebungen vom Kino zur Kunst. Welche Probleme aber bringt der Transfer des Experimentalfilms in den musealen Kontext mit sich? Inwieweit etwa ist die Außenseiterposition des Experimentalfilms für ihn konstitutiv, der Ereignischarakter seiner Aufführung grundlegend für die Kommunikation mit seinem Publikum? Und welche neuen Herausforderungen kommen in dieser Situation auf die Festivals zu?

Und wie steht es um das Erbe der Film-Avantgarde und dem ihr eigenen Innovationszwang? Ist heutiger Experimentalfilm nichts als eine bloße Wiederaufbereitungsanlage von deren radikalen Hervorbringungen? Oder versteht er es, an Energien der historischen Avantgarde anzuknüpfen, sogar alte Forderungen der Avantgarde zeitgemäß zu verwirklichen? Ist überhaupt am Begriff „Experimentalfilm“ festzuhalten – oder hat sich diese vermeintliche Gattung, die faktisch nie eine war, womöglich längst weitgehend in anderen Formen aufgelöst?

Als Akkumulation zahlloser Sub-Spezies und seinem Wesen nach nomadisch, da feste Allianzen nie einzugehen waren, scheint eine Standortbestimmung von Experimentalfilm schwer möglich. Insbesondere aber die Entwicklungen der letzten Jahre werfen Fragen auf, die ein erneutes Überdenken des Begriffs „Experimentalfilm“ und eine Revision seines tradierten (Selbst-) Verständnisses nahelegen. Die ReferentInnen dieses Symposions werden Aspekte dessen, was seine gegenwärtige Situation bestimmt, in ihren Vorträgen beleuchten.