Nocturne 51: Bruno Spoerri – CAJ (Computer Assisted Jazz)
KHM
Nocturnes 51-54: Bruno Spoerri, Phill Niblock, Christoph Heemann und Asmus Tietchens. Das Klanglabor der KHM präsentiert im Wintersemester Spezialisten der Soundart und elektronischen Musik.
Bruno Spoerri – CAJ (Computer Assisted Jazz)
Donnerstag, 17. Oktober, 20 Uhr, Aula
Ein kommentiertes Konzert auf Einladung des Klanglabors der KHM.
Programm:
Blackberry (ein Erinnerungsstück für Saxophon )
Talk with the Hands (mit dem Very Nervous System)
Feeeedback (mit Blech-Lautsprecher)
Sampler’s Revenge (eine Hommage an Christian Marclay, für Synthophone)
A Ball for Minimals (Minimal Music mit der Sensorkugel)
Song for David and David (für David Zicarelli und David Rokeby, Very Nervous System und Synthophone)
Airdrums (Theremin als Steuerinstrument)
Martin’s new trick (für Martin Hurni und sein Synthophone)
Rhythmicon (Manta-Controller)
Beatmachine (Manta-Controller)
Improvisierte Musik, die Bewegung und Gesten in klingende Musik umsetzt, irgendwo im weiten Feld zwischen Jazz, Neuer Musik und Techno – und ohne Gewähr für Perfektion.
Man kann seinen Hintergrund nicht verleugnen: Ich bin aufgewachsen mit dem Jazz der Fünfzigerjahre, mit Bebop, Cool und Westcoast Jazz. Als ich vor fast fünfzig Jahren bei der elektronischen Musik landete, versuchte ich, die neuen Techniken mit der improvisatorischen Praxis des Jazz zu verbinden und empfand als Saxophonist die üblichen Tastaturen als einengend und unkreativ. Mein erstes elektronisches Instrument, die Ondes Martenot, die ich 1965 kaufte, hatte einige Features, die ich bei den späteren Synthesizern vermisste: einen druckempfindlichen Lautstärkeregler, eine frei bewegliche Tastatur für Vibrato und Ziehen der Töne, ein kontinuierliches Glissando über mehrere Oktaven, ein mit dem Knie bedienbares Klangfilter und Lautsprecher mit besonderen Nachklangeffekten. Wichtige Anregungen verdanke ich den Kursen von Jaap Spek, die ich 1965/66 in Köln besuchen konnte.
Auch wenn ich es immer wieder nicht vermeiden konnte, Tastaturen, Regler, Fusspedale oder neuerdings Touchscreens zu verwenden – viel lieber arbeitete ich mit anderen, vieldeutigeren und darum interessanteren Kommunikationsmethoden zu den Geräten.
Was man heute gern vergisst: die entscheidenden Grundideen der elektronischen Musik sind alt. Das erste mit Gesten spielbare elektronische Instrument der Geschichte, das Theremin (1919), wird heute noch gebaut; es ist aber nicht nur als Melodieinstrument spielbar, es kann auch verschiedenste Programme steuern. Die Methode, Lautsprecher auf Metallplatten anzubringen und damit verzerrte Klänge zu erzeugen, wurde vom französischen Erfinder Martenot in den Jahren um 1930 angewendet. Auch „Mikrophonie“ (1964) von Karlheinz Stockhausen arbeitet mit Mikrophonen, die Metallflächen abtasten. Elektronische Blasinstrumente wie das Lyricon (ab 1975 von Computone gebaut) und das Synthophone (Martin Hurni 1987) liegen mir als Saxophonist besonders nahe. Die „Hands“ von Michel Waisvisz (1984) sind das Vorbild der Sensorkugel mit Lage- und Bewegungssensoren, die ich neu einsetze. Die Sensorflächen des Manta (Snyderphonics, 2009) sind Don Buchla’s Thunder (1990) nachempfunden. Und das Videokamerasystem „Very Nervous System“, erfunden um 1990 vom kanadischen Künstler David Rokeby und heute in verschiedensten Formen nachgeahmt, begleitet mich seit über 20 Jahren in meinen Konzerten. Die Programmierung aller meiner Stücke seit 1990 geschieht in MAX/MSP. Man sieht: viele der heute in Computerspielen und Installationen aufgegriffenen Ideen bestehen seit Jahrzehnten.
Die meisten von mir verwendeten Geräte haben als Gemeinsamkeit, dass sie zum Improvisieren besonders geeignet sind, und zwar gerade wegen ihrer Unzulänglichkeit: sie übersetzen meine Gesten nicht 1:1, wie dies eine Tastatur macht, sondern bringen eine Unsicherheitsspur mit sich. Das Reagieren auf Fehler, auf Unerwartetes, macht Improvisation erst interessant. Nicht der Computer ist das treibende Element in der interaktiven Computermusik, sondern die psychische Reaktion des Menschen - es geht darum, die nötige Spannung, Ueberwachheit beim Improvisator zu erzeugen, aus der dann die unerwarteten Ausbrüche aus der Routine entstehen.
Bruno Spoerri (*1935) ist Saxophonist, Komponist, Spezialist für elektronische Musik und interaktive Computermusik-Installationen. Mitwirkung als Saxophonist, Komponist und Arrangeur in zahlreichen Jazzgruppen, dann ab 1965 Berufsmusiker. Musik zu Industriefilmen, zu Dokumentar- und Spielfilmen, vielen Werbespots, einem Musical, Hörspielen und Fernsehproduktionen.1966 erste Filmmusiken und Improvisationskonzerte mit elektronischen Geräten und Instrumenten, ab 1970 privates elektronisches Studio mit Synthesizern, 1973 Filmpreis der Stadt Zürich, 1979 erster Preis der „Ars Electronica“ Linz.Ab 1984 Beschäftigung mit interaktiver Computermusik, Konzerte in Europa, Indien, Afrika und den USA, u.a. mit Reto Weber, Christy Doran, Albert Mangelsdorff, Joel Vandroogenbroeck, sowie Auftritte mit George Gruntz, Joel Chadabe, Don Buchla und Robert Moog.1985–2000 Mitgründer und Co-Direktor des Schweizerischen Zentrums für Computermusik, Lehrtätigkeit in den Konservatorien Biel und Zürich und an der Jazzschule Luzern.Herausgeber und Hauptautor der Publikationen „Jazz in der Schweiz“ (2005) und „Musik aus dem Nichts: Geschichte der elektroakustischen Musik der Schweiz“ (2010) (beide Chronos-Verlag). Aktuelle CD- und LP-Veröffentlichungen bei Finders Keepers Records (England), Sonorama (Deutschland), TCB Records und Inzec Records (Schweiz).